Steinhude - Bad Nenndorf
(27,2 km - 160 Hm auf - 70 Hm ab)
Am Vortag hatte ich noch mit dem vorgeschobenen metereologischen Beobachtungsposten (nennen wir ihn der Einfachkeit halber Herrn M&M - meines Wissens, NICHT verwandt/verschwägert mit Charly G.) im Westen der Ostalpen telefonisch konferiert.
Er hatte für heute labile Verhältnisse, eine auf-/durchziehende Kaltfront und starke Gewitterneigung bereits ab dem frühen Morgen prognostiziert.
Ich hatte das zur Kenntnis, aber natürlich nicht sonderlich ernst genommen. Der Wiener Schmäh ist ja bekannt (und berüchtigt). Und so bezog ich (Naivling) doch all seine Aussagen auf West-Tirol, Vor-Arlberg aber nicht auf das Niedere-Sachsen. Seine Pläne unter diesen Umständen, statt zu wandern vielleicht lieber ein Museum zu besuchen, sich mit niederer Mathematik und ein wenig Geographie (quer durch/über die Alpen) zu verlustieren konnte ich (natürlich) nur bedingt nachvollziehen - wofür gibt es schließlich Excel. Da der Herr aber vielleicht eher weniger mit Computern, Bergen und Kärnten kann (oder so ähnlich), lasse ich ihm mal den Spaß ;-b
Ich selbst wollte aber auf meine nächste E1-Etappe (in seinen großen Fußstapfen) starten.
Bereits vor dem Wecker gegen 06:00 Uhr morgens erhalte ich aber die erste Watschen aus der Ferne: Mit einem ordentlichen Scheppern bricht das erste Gewitter los. Nein, nicht in Galtür/Tirol, sondern in Steinhude/Niedersachsen !
Nun, was erledigt ist, ist erledigt, denke ich mir und nach einem frühen Frühstück starte ich gen Westen am Meeresufer entlang.
Nach einer Weile geht es von der Küste weg und gen Süden ins Landesinnere.
Ich höre bereits das nächste Gewitter, aber im Wald ist Richtung und Entfernung nicht zuzuordnen. Aber Gas geben, schadet bestimmt nicht.
Mittlerweile ist der äußerste (westlichste) Punkt der großen Hannover-Umgehung erreicht und der Weg nimmt Kurs nach Osten.
Durch die Bäume kann ich schon die größte Ansammlung an schwarzen Pisten im ganzen Land erkennen (Reste der roten Pistenrandfangzäune scheinen noch vom Winter übrig geblieben zu sein - die Liftanlagen müssen aber wohl auf der anderen Seite sein):
Die Abraumhalde des Kalisalz-Bergbaus ist schon beeindruckend, wenn das so aus dem Nichts vor Mesmerode auftaucht.
Über dem abgeernteten Feld stehen noch zwei besondere Gesellen in der Luft: Zwei Turmfalken, die sich ab und an wie Sturzkampfbomber gen Erdboden stürzen. Ebenfalls beeindruckend.
Eher weniger beeindruckend als vielmehr lästig ist zuerst der einsetzende Regen: Fotoapparat wegpacken, Rucksackhülle auspacken und weiter.
Bereits nach wenigen hundert Metern wird Tropfen-Häufigkeit und -Größe denn aber doch ausreichend beeindruckend für Regenjacke und -Hose.
In den nächsten Stunden wechseln sich dann Regen und Gewitter mit Regen rege und feucht-fröhlich ab.
Zwischendrin wird der Mittellandkanal erreicht, entlang verfolgt und schließlich gequert. Ausnahmsweise mal nicht per Fähre, sondern per Brücke.
Wortspiel am Rande in der Folge:
Frage: Haste nicht gesehen ?
Antwort: Doch, klar, Haste gesehen.
Kurz nach Haste (es regnet immer noch in Strömen) fühle ich mich dann innerhalb von Minuten in das Zaire des 30. Oktobers 1974 versetzt. 30°C. 90% Luftfeuchtigkeit.
Es ist zwar nicht 04:30 Ortszeit und beste Sendezeit in den USA, sondern eher 04:30 Uhr in den Staaten, aber als George rechne ich nach Einschätzung der Lage, den unangenehmen Gegner vor mir, in den ersten 1-3 Runden, naja 100-300 Metern bezwingen zu können.
Ich teile also ordentlich aus: Rechter Haken. Linker Haken. Links-Rechts-Kombination mit meinen Wanderstöcken, aber die 1,91-Meter hohen Muhammad-Brennesseln gehen immer nur kurz in die (imaginären) Seile des Rings und pendeln mir dann umgehend wieder entgegen. Ich kann ihnen den Weg abschneiden wie ich will, zuschlagen, es hilft alles nicht so richtig. Vor dem inneren Ohr nehme ich in ohrenbetäubender Lautstärke die Trommeln war: In Zaire
Runde um Runde geht der Kampf im Dschungel und bei (maximal) drei Runden (wie ursprünglich gedacht), wird es auch nach der Abbiegung gen Süden nicht bleiben. Runde um Runde folgt, der Schweiß rinnt mir den Körper hinab und tropft von der Stirn, nach Punkten liege ich nämlich längst hinten (Rumble in the Jungle) und dann gegen Ende der achten Runde - meine Deckung steht längst nicht mehr so gut - da passiert es: *autsch*
Die Brennesseln landen einen harten Wirkungs-Treffer. Direkt an meiner rechten Wade (trotz Regenhose). TIEFSCHLAG.
Ich taumle ...
Aber einer wie Muhammad Ali wäre heute ja wohl nicht mal naß geworden: "[..] I can run through a hurricane and don’t get wet."
Das war wirklich das übelste Stück Weg seit der dänischen Grenze (600 km und damit ca. ein Drittel der prognostizierten Gesamtstrecke liegen just hinter mir) und fast ein wenig zynisch: Trotzdem super markiert.
Total zugewachsen, von umgestürzten Bäumen durchzogen und zwischenzeitlich geht es noch über eine wilde Müllhalde mit Autoreifen, Bauschutt und Folienresten im Wald, bevor mit Erreichen der L403 der Spuk ein Ende hat.
Tja, und wie meinte Ali in Vorbereitung auf den Kampf gegen George Foreman bzgl. der Bäume weiter: "I can [..] kill a dead tree". Jo, die habe ich gesehen.
Ich glaube ja mittlerweile Chuck-Norris-Witze sind die direkte (logische) Fortsetzung von Muhammad Alis Poesie.
Nur kurz ein Stück an der Straße entlang (in einer lang gezogenen Kurve gar nicht so ungefährlich) und dann weiter durch den Wald, nun aber auf breiten Forstwegen bzw. zumindest nicht zugewachsenen Pfaden.
Noch während ich so über meine Kampferfahrungen in der grünen Hölle sinniere, erreicht mich eine engelsgleiche sanfte Stimme aus dem Nichts (war ich doch zu Boden gegangen und träume das alles gerade nur ?): "... nicht erschrecken".
Ich bin zu Tode erschrocken !
Und umgehend zur Seite gesprungen.
Hinter mir kam eine Radfahrerin mit Hund.
Der Regen hat mittlerweile aufgehört und so packe ich auf der freien Fläche zwischen den Windrädern die Regenklamotten weg und lege eine kurze Stehpause ein.
Zwischen den Feldern hindurch und durch kleine Ortschaften geht es jetzt schon langsam auf das Tagesziel Bad Nenndorf zu.
Nach einem Möbelhaus kommt allerdings noch das dicke Ende des Tages: Ein richtig ordentlicher Berg.
Mit skurriler Straße rechts ab:
Der kann Berg und die Höhenluft mich nun aber auch nicht mehr schrecken und auf der anderen Seite wartet bereits meine Unterkunft.
Ca. 15 Minuten nach meiner Ankunft kommt bereits das nächste Gewitter und bis in die Nacht hinein geht es wieder abwechselnd mit Gewitter mit Regen und manchmal nur Regen weiter.
Die Prognose für die nächsten Tage, die ich auf dem Weg zur Essensbeschaffung (im Hotel werde ich nämlich nicht mal Frühstück bekommen, da ich "erst" um 14:15 Uhr da war, aber Frühstück 24h vorher hätte bestellt werden müssen - na, wenn das mal bei der Reservierung auch ersichtlich gewesen wäre) aufschnappe, klingt alles andere als erbaulich ...
Begegnungen:
- 2 Graureiher
- 2 grüne Libellen
- 2 Turmfalken
- 1 blaue Libelle
- schwarzer Esel
- fette Kröte
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