Heute mache ich mich zeitig auf die Socken (im Verhältnis zu den sonstigen Startzeiten am E1): Um 08:45 Uhr geht es los, schließlich steht heute - zumindest von den Eckdaten des Führers her - die Königsetappe des Odenwalds auf dem Programm mit einer prognostizierten Gehzeit von 8,5 Stunden. Außerdem habe ich abends eine Verabredung, für welche ich sogar den (virtuellen) 19V-Stammtisch GCR54G sausen lasse. Daß das Treffen quasi sogar ein Blinddate ist, ist mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewußt (in irriger Annahme, der Teledahner sei beim inoffiziellen GC-München-Venedig-Veteranen-Stammtisch 2016 dabei gewesen und ich wüßte daher, wo er wohnt).
Aber der Reihe nach.
Nach jedem Tal kommt (Gott sei Dank) ein Berg und so gilt es, früh am Morgen erstmal (ordentlich) Höhe zu gewinnen.
Und dabei den Ärger aus dem Randgebiet von Birkenau zu verdauen: Nachdem ich letztes Jahr den Aldi-Äquator überschritten hatte, bin ich heute wohl über den der Gültigkeit von Verkehrsregeln gekommen: Ab hier scheint es keine Überwachung des (ruhenden) Verkehrs mehr zu geben - und Flensburg ist weit. Nicht nur zu Fuß, sondern augenscheinlich auch die Verkehrssünderkartei.
Da parken die allen Ernstes ihre fetten SUVs zur Hälfte auf den sowieso schon schmalen Gehwegen. Aber nicht einzelne, sondern durchgehend.
Für überbreite Wanderer wie mich (und da helfe auch abspecken kaum) ist da trotz angelegter "Ohren" (Außen-Spiegel) kein Durchkommen, zumindest nicht ohne Gefahr, die Längsseiten der Karossen mit Längs(schleif)spuren zu verzieren.
Die Besitzer sollten mal vor den (inneren) Spiegel treten und sich fragen, ob das wirklich Sinn der Sache sein kann oder man sollte ihnen vielleicht einfach mal die Ohren lang ziehen.
Da ich aktuell dafür leider keine Zeit habe, verlege ich mich auf einen pragmatischen Alternativ-Ansatz. In der Mitte der Straße. Nun ist der Süden von Breitenau in jedem Fall verkehrsberuhigt: Mit mehr als 4-5 km/h kommt nun niemand mehr voran.
Ob jemand gehupt hat ? - Keine Ahnung, ich höre ja ärztlich attestiert schlecht.
Der Autofahrer hinter mir als ich am Ende in Fußweg abgebogen bin, hatte wohl jedenfalls ausreichend der geforderten Geduld.
Im Tal hinter dem nächsten Hügel in der Engstelle dann ähnliche Szene: Hier müssen dann aber Autos von beiden Seiten warten bis der K2-Schwertransport die Engstelle überwunden hat.
In einem weiteren, diesmal sonnigen Abstieg (heute gilt es ja Höhenmeter zu sammeln) kommt mir dann ein noch viel schwerer beladener Wanderer entgegen: Ein Franzose mittleren Alters, der Gott sei Dank sehr gut Englisch spricht. Er ist bereits vor 20 Tagen irgendwo in der Schweiz gestartet (der Ort sagte mir leider nichts: muß wohl mal wieder mehr in die Westalpen...) und hat nun nur noch 5 Monate zu Fuß vor sich. Bis zum Nordkap.
Eine typische Frage für derartige Wanderer: Wo gibt es Wasser ? Das ist in Deutschland gar nicht so einfach. Nach kurzem Rekapitulieren des bisherigen Wegverlaufs von heute, habe ich denn aber doch noch einen (Geheim-)Tipp für ihn: Der Friedhof oberhalb von Buchklingen (der letzte kleine Ort, der von mir tangiert worden ist).
Ich gebe ihm einen Teil meines eingepackten Glücks mit auf den Weg, weil so viel brauche ich für die paar Tage Odenwald doch eigentlich/hoffentlich gar nicht.
Irgendwo in der Gegend schreite ich dann auch über die die grüne Grenze nach Baden-Württemberg, dem siebten und letzten Bundesland auf meinem Spaziergang durch Deutschland (nach Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen). Das zweitgrößte Flächenland der Republik steht nun auch der Länge nach auf dem Programm...
Das riesige Naturfreundehaus Kohlhof hat heute geschlossen, aber immerhin kann ich dort in der Sonne in Ruhe eine kleine Pause machen und mich zumindest aus dem Rucksack stärken.
Zum Parkplatz Köhlerwald geht es dann durch einen Wald mit Erläuterungen zur früher hier betriebenen Köhlerei und einen Mustermeiler haben sie da auch aufgebaut:
Die Wege sind heute meist traumhaft und kurz nach der Siedlung zuvor geht es schon wieder einsam durch den Wald bergauf.
Den Teltschikturm auf dem Schriesheimer Kopf hatte mir zwar schon ein älterer, einheimischer Herr (Karl hatte den Weitwanderer am Schuhwerk erkannt, gezielt angesprochen und in ein Gespräch verwickelt) am Morgen zur Besteigung empfohlen, aber als ich die Soll-Gehzeiten (zumindest für Leute, die auf Plaketten manifestiert werden wollen) von 30-32 SEKUNDEN für 192 Stufen und ca. 36 Höhenmeter lese, wird mir Angst und Bange und ich verzichte. Mit bewunderndem Dank.
Manch geneigter Leserin mögen an Hand der Konstruktion auch noch andere Aspekte einfallen, die eher gegen eine Begehung durch mich sprechen - nein, ich rede NICHT von einer drohenden Überlastung der (Turm-)Statik ;-)
Mitten im Wald treffe ich dann auf ein Weg-blockierendes Ungeheuer. Nein, diesmal kein Stier, kein Pferd, keine Kuh, keine (Riesen-)Spinne, das schnaubende und knirrschende und aufgeregt umher tänzelnde Ungetüm ist ein Bagger.
Wie jedes Kind schon lernt: Baggern sollte man sich nie unqualifiziert von hinten nähern, sonst schlagen sie ggf. aus - so, oder so ähnlich.
Nachdem mit ruhiger Stimme gut zureden nicht fruchtet, mache ich mich im Rückspiegel groß und breit und bleibe schließlich stehen. Sichtkontakt suchen. Ah, klappt: Der Fahrer hält kurz inne und freundlich winkt mich er mich vorbei.
Überlebt...
Ein richtig steiler Asphaltabstieg *argh* führt dann hinab nach Ziegelhausen, einem außerhalb liegenden Ortsteil von Heidelberg.
Die Etappe wäre geschafft, nur irgendwie litt mein GPS-Gerät wohl unter Dyskalkulie: Deutlich weniger Aufstiegsmeter als im Wanderführer prognostiziert.
Eine Abkürzung durch einen Tunnel habe ich zumindest garantiert nicht benutzt: Wäre mir aufgefallen, denn die Stirnlampe blieb im Rucksack und es war trotzdem die ganze Zeit hell.
Zu schaffen macht mir dann noch meine Verspätung: Erst ca. 585 Tage nach meiner Fahrplan-mäßig prognostizierten Ankunft, tauche ich nun wirklich hier auf.
Wenn man überlegt, daß just bis zu genau diesem Tag in Japan ein Gerichtsstreit tobte, wo es um eine EIN-minütige Verspätung beim Rangieren eines leeren Zugs auf ein Abstellgleis ging, was den Lokführer eine Strafzahlung von umgerechnet ca. 40 Cent kostete: Wie viel wäre ich da wohl dem Teledahner schuldig ?
Der Lokführer ist zwar bereits verstorben, aber seine Gewerkschaft hat den Streit auch posthum weitergeführt - es ging um's Prinzip - und letztlich gewonnen.
Nun habe ich auch keine ganz so große Angst mehr vor dem Bankrott...
Kurz nach 18:00 Uhr kommt dann mein Taxi mit den Local Guides: Hanna und Thorsten haben sich ja für heute angekündigt, einen Vorschlag einer netten Lokalität auf dem Berg neben einem Kloster zum Speisen und das Sahnetüpfelchen sind neben Weitwandergesprächen - mal davon abgesehen, daß der Teledahner München-Venedig gegangen ist, verfolgen die beiden seit einigen Jahren das Rote-Via-Alpina-Projekt: Von Slowenien bis zur Zugspitze sind sie bereits gekommen - als Dessert-Angebot eine Altstadtführung im nahen Heidelberg.
Nun, wer mich kennt, zu Dessert sage ich nicht unbedingt nein ;-)
So geht es später mit dem Auto noch flugs rüber am Neckar entlang gen Westen in den "Hauptort" (Ziegelhausen ist bereits ein Ortsteil von Heidelberg) zur alten Brücke:
Erinnert mich ein wenig an Würzburg (Bauart/form, Sandstein und Figuren), nur ist es hier roter Bundsandstein, aus welchem auch die große Kirche am Platze und das Schloß gebaut sind.
Meine beiden heutigen Trail-Angels:
Auf dem Rückweg zum Auto (nach der kurzen Altstadtrunde samt Eisessen) zeigt sich Heidelberg dann noch von seiner schönsten nächtlichen Seite:
Danke für den tollen Abend Euch beiden !
Begegnungen:
- Karl und seine Frau aus der Nähe
- Französischer Fernwanderer mit Ziel Nordkap
- Forstangestellter bei Stammdurchmesservermessung
- netter Traktorfahrer mit zwei Kids
- 1 Eichelhäher
- 1 Eichelhäherpärchen = 2 weitere Eichelhäher (nicht verwandt oder verschwägert)
- Thorsten und Hanna (Teledahner und MissSalamander)
https://www.derstandard.at/story/2000135245038/gehsteig-grant-die-top-ten-der-grossen-dramen-auf-dem
AntwortenLöschenMeine Rede.
LöschenAlso auch bei unseren Nachbarn mit den hinreichend höheren Hügel (und mehr Holz vor - und in - den Hütten) ein echtes Problem bis hin zum ausgewachsenen Ärgernis.