Dienstag, 21. Juni 2022

Tag 76: Finales Ankommen zum Ablegen

 Langenrain - Konstanz
(20,7 km - 190 Hm auf - 330 Hm ab)

Ohne Frühstück starte ich am frühen Morgen in den letzten Tag auf dem E1 durch Deutschland.

Ich hatte mir zwar Verpflegung an einem Supermarkt am Vortag besorgt, aber irgendwie habe ich keinen Hunger, sondern der Kakao genügt.

Die Würstchen werden letztlich Wochen später im Höhentrainingslager an die hungrige Meute verfüttert werden. Immerhin, der Kontext paßt: Wird dort doch mein erster Bildervortrag über diese Tour dort stattgefunden haben...

So geht es durch den ruhigen Wald, wo um diese Zeit am Donnerstag vor Pfingsten maximal ein paar Menschen beim Gassigehen unterwegs sind.

Dann begegnet mir aber doch noch eine Lichtgestalt: Mo.

Ich spreche sie ob ihres Rucksacks an und dann schließt sich ein (ganz großer) Kreis: Habe ich heute meinen letzten Wandertag durch Deutschland auf dem E1, so hat sie ihren ersten (vollen).

Sie geht den E1 nämlich in die Gegenrichtung gen Flensburg.

Und ob Ihr es glaubt oder nicht: In diesem Rucksäckchen sind sogar Zelt und Schlafsack.

Nach kurzer Unterhaltung habe ich keine Zweifel an ihrem Projekt, ist sie doch vor Jahren (mit menschlicher und hündischer Begleitung) bereits mal von Deutschlands südlichstem Punkt (Grenzstein 147 am Haldenwanger Eck) zum nördlichsten (Ellenbogen auf Sylt) gewandert.

Theoretisch müßte ich jene Route (allerdings wieder von Nord nach Süd) quasi auch kennen (Stichwort: Deutschland-Tour), allerdings ist Fahrrad-Fahren ja nicht so meines, weswegen ich da vor GENAU 10 Jahren einen etwas anderen (alpinen) Ansatz (mit vollem Material-Einsatz) gewählt hatte: Log

Gut gelaunt geht es aus dem Wald und über eine Anhöhe, wo man mal mehr vom Bodensee sieht.

Der Weg durch die Marienschlucht ist ja seit Jahren gesperrt, aber auch die Alternative ist ok.

Nach freien Flächen geht es kurz vor Konstanz nochmal durch den Wald, bevor man im Bereich der Universität endgültig ins städtische Gebiet kommt.

Über bekannte Wege nähere ich mich dem finalen Zielgebiet.

Am 02. Juni 2022 stehe ich dann somit fast genau 50 Jahre nach der feierlichen Eröffnung (02. Juli 1972) des europäischen Fernwanderwegnetzes an der Kreuzung des E1 und des E5 in Konstanz an der Bronze-Tafel, die daran erinnert.

In Anlehnung an ein Ziel-Foto aus dem Wanderführer lichte ich auch meinen rückwärtigen Begleiter unweit ab:

Die Imperia (und ihr Lotterleben) sind mir von früher her noch bekannt, weswegen ich dort diesmal nicht so lange verweile.

Ein Stück weiter geht es für mich noch bis zur Schweizer Grenze (und damit ist nicht nur Flensburg - Konstanz beschritten, sondern Deutschland KOMPLETT der Länge nach von Dänemark bis in die Schweiz) - also genauer gesagt erstmal darüber hinaus, da der (unscheinbare) Grenzstein auch hier erst nach längerer Suche zu finden ist.

Und allen oberbayerischen Unkenrufen zum Trotz: Drei Wochen und den kompletten Schwarzwald und das Hegau hindurch hat das Patch-Pflaster allen Wiedrigkeiten getrotzt.

Da ist das legendäre Drei-Wetter-Taft aus den 80ern ja (fast) nichts dagegen:

Ich gönne mir noch ein italienisches Mittagessen und dann paßt es zeitlich auch, sich umgezogen mal gen Busbahnhof aufzumachen.

Mit dem Flixbus geht es dann (huckepack auf der Schnellfähre) quer über den See (nach Meersburg) und via München gen fränkische Heimat.


Mit Fußball habe ich seit meiner Jugend eigentlich nicht mehr all zu viel zu tun (meine Knie ruiniere ich mir jetzt höchstens selbst beim Bergab-Gehen), aber ein wenig kurios waren die Parallelen in diesem Jahr schon:

Der Oster-Abschnitt 2022 begann am Tag nach der rauschenden Nacht der Frankfurter Eintracht im Europapokal-Halbfinale in Barcelona. Der Pfingst-Abschnitt genau am Tag nach dem Final-Sieg.

Schließen wir diesen Blog nach 

  • knapp 80 Wander-Tagen (in denen man laut Jules Verne um die Welt reisen oder nach Sepp/Charisma rund um München kommen kann)
  • gut 1.800 Kilometern zu Fuß durch Deutschland
  • und ca. 35.000 Höhenmetern im Aufstieg (und etwas weniger Abstieg)

also mit ein paar Weisheiten frei nach dem legendären Sepp Herberger:
  • nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub
  • nach der Wanderung ist vor der Wanderung
  • der nächste Gipfel/Übergang ist immer der schwierigste
  • der Rucksack ist schwer und ein Wandertag dauert bis zum Ende
  • die Alpen sind deshalb spannend, weil niemand weiß, wie die Wanderung ausGEHT

Und somit geht es die Tage auf die L2-Route von Verona in Richtung Salzburg über die Alpen...


Begegnungen:

- 1 Hase

- Mo, Fernwanderin mit Zelt auf dem Weg gen Flensburg

- 3 Libellen

- 1 Milan

Montag, 6. Juni 2022

Tag 75: Point of no Return

Singen - Langenrain
(26,0 km - 640 Hm auf - 480 Hm ab)

Vorletzte Etappe auf dem E1 durch Deutschland: Am Anfang spare ich mir heute ein paar Meter gen Osten durch die Stadt, die ich gestern bereits auf Basis der geschickten Quartierwahl absolviert hatte, was meine heute etwas verlängerte Etappe zu Anfang gleich mal verkürzt.

Das Stadtgebiet von Singen am Hohentwiel wird bereits nach wenigen Minuten an einem Sportplatz und einer Schrebergartensiedlung vorbei in den Wald verlassen.

Im Hegau dominieren ja längst Mischwälder im Vergleich zum doch nadellastigeren (Hoch-)Schwarzwald.

Bei einem kleinen technischen Halt zum Abwurf unnötigen Flüssigballasts überholen mich ein jüngerer Mann und eine ältere Dame, die mich wenig später aber wieder passieren lassen.

Das Wetter ist wie in den letzten Tagen: Sonne mit Wolken und tendentiell morgens besser als am (späten) Nachmittag.

Unter der autobahnartig ausgebauten B33, die von der A81 bei Singen auf die Bodensee-Halbinsel von Konstanz führt, geht es hindurch und auf der Nordost-Seite stellt sich erstmal die entscheidende Frage: Wie weiter ?

Link erscheint sinnlos, geradeaus oder rechts möglich bis sinnvoll.

Markierungen habe ich keine gesehen. Auch auf den zweiten Blick nicht.

Aber ein Blick auf's GPS zeigt eindeutig nach rechts, also dort weiter.

Als ich später am Waldrand entlang gehe und gen Nordwesten über das große Feld blicke, sehe ich in der Ferne zwei Gestalten parallel zu mir den Geradeaus-Weg nehmend. Nun, die beiden anderen Wanderer hatten wohl kein GPS zur Hand und - wie später festzustellen gewesen sein wird - auch keine Markierung gefunden und deshalb auch ordentlich geflucht.

Selbst einwachsende oder eingewachsene Wegweiser oder Markierungen sind ja besser als nichts:

Manchmal sind aber auch deutliche Zeichen mehr Schein als Sein:

Von wegen Alpenblick ! - Da bin ich extra Schauen gegangen, aber außer Spesen nichts gewesen :-(

Muß ich demnächst wohl mal persönlich nach dem Rechten schauen in diesen jenen Alpen !

Am Ortsausgang von Steißlingen erreiche ich dann den "Point of no Return" des E1-Weges durch Deutschland:

Wenn man hier vorbei geht, gibt es wohl kein zurück mehr, den U-Turns sind schlicht verboten.

Ich gehe kurz in mich, aber dann ist meine (überraschend) schnelle Entscheidung klar: Klar, entscheidend schnell weiter gen Konstanz. Wer will JETZT schon noch zurück nach Flensburg ?

Wobei nett wäre es natürlich schon, nochmal 9-10 Wochen durch die Lande zu spazieren.

Aber ok, vielleicht finden sich dafür die Tage ja noch andere Möglichkeiten. Den E1 kenne ich ja mittlerweile, aber vielleicht haben auch andere Väter hübsche Töchter. Behalten wir doch mal gemeinsam im Hinterkopf, daß man Buchstaben und Ziffern auch vielfältig zur Vielfalt permutieren kann, wobei K2 natürlich bereits weg fällt und 02K nicht mehr ganz ins Beuteschema paßt. Aber das nur nebenbei und zur allgemeinen Belustigung - oder so ähnlich ;-)

An der Ruine Homburg wagt sich der Esel nicht auf's Eis aber erneut in der Weite in die Höhe, wobei diesmal das weniger an Höhe für weniger Bauchkrummeln als das mehr an morsch an den Holzstufen sorgt.

Der Anfang vom Ende des Abstiegs ist dann genau wie im Wanderführer beschrieben (= angedroht):"[..] wäre da nicht der wenig gepflegte Abstieg von der Ruine Homburg: Der verwachsene Steig ist nach Niederschlägen [gab es reichlich am Vorabend] unangenehm zu begehen."

Grüne Hölle und Matsch kann ich nur bestätigen:

Etwas später, dann ein weiterer kritischer Punkt auf der heutigen Etappe: Eine im wahrsten Sinne des Wortes hohle Gasse, die allerdings in der Breite eher weniger hohl ist und deswegen weder an umdrehen noch gar an Gegenverkehr zu denken ist (Stichwort: Hinterteil schert aus):

Gott sei Dank ist der Abschnitt schnurgerade und das Ende auch ohne Brille gerade noch am Horizont zur erahnen. Also ein Mal laut Hupen und dann mit Vollgas in die langgezogene Engstelle, in der es dann nur empörtes akkustisches Feedback von der Gegenseite gibt: Ein Schaf alleine ? - Wer macht denn sowas ? - Es weiß doch jedes (Island-)Kind, daß man Schafe analog zu Nürnberger Bratwürsten IMMER in positiv ganzzahligen Vielfachen von drei halten sollte - wobei drei Schäfchen kaum in ein "Weckla" passen dürften - an dieser Stelle hinkt der tierische Vergleich denn doch etwas.

Merke: Abbruzzenhammel oder Lammkeule sind da ggf. kulinarisch die naheliegenderen Optionen.

Warum ich gerade nur ans Essen denke ? - Nun, das war eine der für heute und morgen noch zu lösenden Aufgabenstellungen, wie wir später schon noch sehen werden...

Zuerst geht es aber noch an der Schwedenschanze vorbei, wobei wir hier natürlich nicht von jener im bayerisch-hessischen Grenzgebiet sprechen (Link), aber auf ein kleines Schanzenwerk, welches ebenfalls im 30-jährigen Krieg entstand:

Just als ich mir am anderen Ende des Waldes bei Güttingen Gedanke mache, wie man ausgerechnet (legal) falsch herum in die Einbahnstraße fahrenden Traktoren als mehrspuriger (nicht mit großspurig zu verwechseln !) Verkehrsteilnehmer auf dem schmalspurigen Sträßchen ausweichen würde, biege ich denn doch lieber einfach rechts vom Weg ab.

Nicht, daß ich müßte, aber können tue ich schon: Abstecher zum Einkaufen in Form von Proviant für den nächsten Morgen (aus Gründen habe ich nämlich explizit ein Zimmer mit ohne Frühstück gebucht - bevor sich Bekannte jetzt die Frage stellen, ob der Wanderer krank und/oder fiebrig sei: Nein, nichts dergleichen, sondern ein voll mafiöser Plan).

Nach einer ausgiebigen Mittagspause quere ich Güttlingen gen Osten, um wieder auf den eigentlichen E1-Weg zurück zu kommen und wer biegt da just vor mir um's Eck: Die beiden von heute Morgen, die ich dann kurz danach einhole:

Es sind Eva und Bastian, wobei er seine Tiroler Herkunft sprachlich nicht verleugnen kann ;-)

Wir gehen eine Weile bis nach Möggingen (wo wir zu dritt mangels Markierung mal vom Weg abkommen) und weiter zum Mindelsee (grünes Wasser ob des Moores) zusammen und stellen fest, daß wir die ganzen letzten Tage parallel unterwegs (die beiden gehen den Querweg ab der Heimat von Eva, nur 10 km vom Feldberg entfernt) und meist in denselben Quartieren abgestiegen, uns bisher tagsüber aber noch nie begegnet waren.

Am Mindelsee legen die beiden noch eine Pause ein und ich gehe wieder alleine weiter, was sich letztlich wettertechnisch als kleiner aber entscheidender Vorteil herausstellen wird: Ich werde nämlich aus der heißen Dusch gekommen sein, wenn sie gerade durch den (kalten) Regen die letzten Meter zu ihrem Quartier vis-à-vis zurücklegen.

Die Tropfen, die mich auf dem letzten Kilometer von oben erreichen, ignoriere ich nämlich erneut: Da habe ich in den letzten Tagen ja schon einiges an Übung damit gesammelt.

Aber warum überhaupt noch letzte Kilometer NACH dem eigentlich Etappenziel Möggingen laut Rother-Wanderführer ?

Nun, wie schrieb quasi mein Lieblings-Autor der Jahre 2020-2022 (keine anderen Bücher habe ich in dieser Zeit häufiger zur Hand genommen): Langenrain wäre für die Etappenaufteilung sehr gut gelegen, [..] allerdings finden sich in der näheren Umgebung weder Einkaufs- noch Einkehrmöglichkeiten."

Wo ein Pate, da eine (organisatorische) Lösung, womit wir bei meiner 10. planmäßigen Begegnung auf meinem Spaziergang durch Deutschland mit netten Menschen von früher wären: Die ursprünglich fränkische, nun bereits langjährige badische Barbara vom Bodensee ("B.B.") hatte ja als einer der ersten 2020 angemeldet, daß eine Anmeldung für ein potentielles Treffen bei geographischem Vorbeikommen als obligatorisch anzusehen sei und da ich ja (fast) immer mache, was man/Frau mir sagt und im Zuge meiner temporalen Optimierungen nun auch eine Kompatibilität zum Familienurlaub hergestellt war, freue ich mich auf das avisierte ein Privat-Taxi ("Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.") zum/vom gemeinsamen Abendessen.

Auch wenn die Bodensee-Halbinsel Bodanrück aus dem Blickwinkel von Mittelfranken, sich quasi standpunktmäßiger Relativität wie Sizilien zu Stein in Südtirol verhält, habe ich dennoch kaum Angst, obwohl in Sizilien Frauen sprichwörtlich gefährlicher als Schießeisen sein sollen, wie jedes (Paten-)Kind weiß.

Das letzte Mal hatten wir uns gesehen, als ich zufällig vor ein paar (mehr) Tagen mal geschäftlich in der Gegend war. Damals war sie hochschwanger. Nun kommt Kilian im Herbst in die Schule. 

Wie die Zeit vergeht...

Quasi kaum in Flensburg gestartet, hat man schon den Bodensee vor Augen.

Das Gästehaus Bodanrück in Langenrain ist echt nett und besonders gefallen hat mir die Form von Stühlen (nicht an, sondern in der Wand), die optimale Stockablage erlauben.

Meine gute, tiefen-entspannte Laune wird dann noch durch eine kurze (aber prägnante) Kurznachricht der promovierten Taxifahrerin zusätzlich gesteigert, die sich am ehesten mit "Lucky Bastard" wiedergeben ließe: Der Regen traf sie wohl ohne Schutzblech-Vorkehrung und vor dem nach Hause Radeln - darf ich mich doch von und zu schreiben, daß sie später die Familienkutsche ausnahmsweise mit dem einschlägigen zum einschlägigen Italiener am Gnadensee (nomen est omen ?) bewegen wird.

Ja, der letzte Abend hat echt Stil (auch wenn es mit dem italienischen Eis zum Abschluß zu fortgeschrittener Stunde nicht mehr klappt) und ich bin mir auch nach all den Jahren weiterhin noch nicht sicher, ob sie nicht auch mal an einer Doktorarbeit über Zitate aus "Der Pate" gearbeitet hat, so firm wie sie da immer war und auch noch ist ;-)

Danke für den tollen Abend und einen schönen Urlaub, Frau Professor !


Begegnungen:

- Querweg-Weitwanderer Eva (geb. Linzerin) aus dem Schwarzwald (10 km vom Feldberg wohnend) + Bastian (geb. Innsbrucker) aus Salzburg

- 1 Milan

- 1 Eichelhäher

- 1 große Libelle

- 1 Kuckuck (zumindest akustisch unüberhörbar und hartnäckig im letzten Wald vor Langenrain)

- 1 Milan

- Barbara (HypatiaCurie)