Grenze Kupfermühle - Flensburg
(10,0 km - 90 Hm auf - 100 Hm ab)
Um kurz nach 04:00 Uhr morgens klingelt der Wecker in Erlangen. Die Taxifahrerin ist auch alles andere als begeistert, aber zwei große Tassen dampfender Schwarzer Tee mit Milch (man will sich dem Zielgebiet ja schon mal anpassen) wecken die Lebensgeister und letztlich sind wir 2 min vor Abfahrt des Zuges auch schon am letzten Bahnsteig des Erlanger Hauptbahnhofs (endlich geht es wieder nach meinem Zeitplan ;-) und per RE nach Nürnberg Hbf.
Dort fährt der ICE gen Hamburg bereits kurz nach meiner Ankunft am Gleis ein - allerdings war noch Zeit genug, daß ich mich nach Wagenstandsanzeiger korrekt aufstellen konnte, nur um dann feststellen zu müssen, daß die Wagenreihung heute wohl genau umgekehrt ist: Das sind schon die ersten paar Hundert ungeplanten Zusatzmeter mit schwerem Gepäck.
Darf ich jetzt zusammen mit dem Marsch durch das morgendlich verschlafene Erlangen auch das Bundesland Bayern als auf dieser Tour erwandert abhaken ? - Die Weitwanderexperten haben da bestimmt eine Meinung, ich harre Eurer Kommentare.
Die meiste Zeit bis Hannover verschlafe ich, dann tun die Knochen vom Sitzen schon wieder so weh, als wäre ich bereits 50 km mit 25 kg auf dem Buckel marschiert - dabei habe ich doch sogar 2kg weniger als auf dem Zentralalpenweg (die Hälfte davon geht schon auf den kleineren Rucksack) und an den Füßen habe ich auch etliche Hundert Gramm weniger. Auf den Rippen dafür um so mehr. Höchste Zeit für Bauch-weg-Urlaub ;-)
In Hannover brennt die Sonne noch vom stahlblauen Himmel, aber spätestens beim Aussteigen in Hamburg Altona (natürlich aus dem Wagen, der am weitesten vom Kopf des Bahnhofs weg ist) bestätigt sich meine Arbeits-Hypothese, daß es im Norden Deutschlands
1. sowieso weniger Sonne gibt
2. und es nicht so heiß wird
Daß ich aber nicht auf einem 3.000er überlege, im Sommer Fleecepulli und Mütze überzustreifen, sondern auf dem jämmerlich kalten Bahnhof von Altona, gibt mir schon zu denken.
Ich wechsle in den RE gen Flensburg - wie mir Hamburger Insider zwei Tage später werden gesteckt haben, steht der IMMER bereits mehr als 30min vorher am Gleis und Kiel ist immer vorne (Zugteilung), Flensburg hinten und die erste Klasse natürlich GANZ am Ende.
Sprach ich schon von den Zusatzmetern ? Hier kam gleich noch ein ordentlicher Batzen oben auf.
Die Sitze im RE waren immerhin kompatibler zu meinem Rücken, so daß ich keine weiteren Dehnübungen mehr im Zug durchführen mußte (obschon so wenige Menschen in der ersten Klasse waren, daß ich kaum zur Belustigung anderer beigetragen haben dürfte).
Gerade, wenn ich so jeden Satz ca. dreimal tippe, fällt mir ein weiterer Grund ein, warum ich WENN immer LANGE Touren machen muß: Muß mich erst wieder an die Falttastatur für unterwegs gewöhnen (mal schauen, wo ich soweit bin, daß das wieder ganz gut klappt), diesmal immerhin nicht mehr mit y/z-Problem.
Auf dem Weg nach Flensburg wird mir bei der Eisenbahn-Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg noch ganz Angst und Bange: Die erste Klasse ist im Obergeschoß, ich sitze rechts und schaue ins N I C H T S: Von da oben ist nichtmal ein Geländer zu sehen und die deutliche Geschwindigkeitsreduzierung des Zugs, die Kurve, das metallische Quietschen und das Alter der Metallbrücke geben mir schon zu denken.
Erwähnte ich bereits meinte Schwindelanfälligkeit (also jene wegen der Höhenangst, nicht die mit der Unwahrheit) ? - Eigentlich dachte ich ja, hey E1 = Flachland + ein paar nette Mittelgebirge ... Aber da taten sich nun bereits bei der Anreise ABGRÜNDE auf.
Interessant ist auch, daß der Zug einen kompletten Kreis fährt und dabei auch unter seiner eigenen Strecke wieder hindurchkommt.
Kurz nach der Ankunft am Flensburger Hauptbahnhof kommt auch bereits ein Bus der Linie 1, der mich bis zur Grenze bei Kupfermühle bringen soll.
Offiziell ist die Dänische Grenze für Fußgänger gesperrt und wer ins Land will, muß mindestens sechs vorgebuchte Übernachtungen bei der Einreise nachweisen.
Die Besichtigung der legendären blauen Rolltreppe an der Grenze und Posieren mit dänischen Grenzschildern fiel somit aus, da der Übergang des E1 so unscheinbar ist, daß ich plötzlich in Dänemark stand und auf dem Rückweg nichtmal mit genauem Umschauen Schilder, Grenzstein oder ähnliches erblicken konnte (da lobe ich mir doch die Österreicher, die in meinem Namen 147er KK-Grenzsteine nicht zu übersehen an all Ihren Grenzen sehr auffällig und ich großer Zahl platziert haben).
In den wenigen Minuten bis ich mich von der Grenze auf meinen (Fuß-)Weg zurück nach Flensburg mache, eilen sicherlich 10 Personen zu Fuß oder mit dem Rad gen Süden oder Norden über die Grenze - von wegen geschlossen.
Ein paar (stoffelige) Fernwanderer kommen auch mit recht unrundem Schritt gen Süden herüber, auf einen Gruß fällt Ihnen außer missmutigen Gesichtern allerdings nichts ein. Immerhin eine Ausnahme.
Seit 1969 gibt es große Teile des Europäischen Fernwanderwegs E1 - somit entstanden diese sogar noch vor den Österreichischen WeitWanderWegen (WWW).
10 Kilometer stehen für mich jetzt bis zum Hostel Seemannsheim in der Flensburger Innenstadt direkt gegenüber der Flensburger Förde an. Das klingt nach perfektem Auslauf-Programm nach 8,5 Stunden Anreise mit Zug und Bus.
Der Weg führt durch viele Laubwälder (Buchen und Eichen dominieren) im Zick-Zack und die größeren Straßen werden maximal gekreuzt und eine vierspurige Schnellstraße sogar auf kuriose Weise: Im Wald führt plötzlich einen serpentinenartig angelegter Singletrail steil bergab und plötzlich steht man auf einem Autobahn-artigen Parkplatz.
Ich bin etwas irritiert, aber sogleich erspähe ich einen Fußgänger-Tunnel mit dem weißen Andreaskreuz der E-Wege und denke mir, das ist ja geschickt gelöst: Die Autofahrer gen Süden könnten durch den Tunnel die WC-Anlage auf der anderen Seite erreichen, man mußte somit nur einen bauen und die Fernwanderer durchtunneln so ebenfalls und entschwinden auf der anderen Seite gleich wieder weg von der Straße geradewegs auf einen Mini-Golfplatz (hinter gräßlichen Neubauten, die man vom Weg zwar nicht sieht, ich aber die Stelle von der Busfahrt von der anderen Seite gleich wieder erkenne).
War es bisher stark bewölkt, setzte nun Regen ein. Das war so nicht geplant. Aber nach einer kurzen Rast unter einem Baum, legte sich das wieder und so konnte ich nach einer Foto-Session einer bayerischen Familie (die boten mir Mitfahrgelegenheit an, falls ich in 7 Tagen keinen Bock mehr hätte) über die Uferpromenade gen Flensburg spazieren. Über Nebenstraßen ging es dann bis ins Zentrum.
Das 4er-Zimmer war (wie zu erwarten) Corona-bedingt nur zur Hälfte belegt, eigentlich gemeinschaftlich zu nutzenden Sanitärräume nun jeweils zwei Zimmern fest zugeordnet und für das Frühstück mußte man sich in Schichten einteilen (lassen). Naja, 8 Uhr ist immerhin besser als 9 oder 10 ;-)
Als altem Mafioso hat mich dann vor dem Zubettgehen noch etwas irritiert (und die halbe Nacht in Gedanken beschäftigt), daß hier der Clan-Kriminalität augenscheinlich sogar offen gehuldigt wird, auch wenn mir der Name dieser Gang gar nichts sagt (evtl. eine dänische Vereinigung der organisierten Kriminalität ?):
Begegnungen:
- 2 Stoffel-Wanderer an der Grenze
- 4-köpfige Familie aus Rosenheim