Freitag, 31. Juli 2020

Tag 07: Sei unser Gast

Bargenstedt/Dellbrück - St. Michaelisdonn
(22,1 km - 110 Hm auf - 110 Hm ab)

Von der Unterkunft beginnt der Tag mit der aktuell bereits routinierten Nutzung der unterschiedlichsten Verkehrsmittel, um erstmal zum Endpunkt des vorherigen Tages zu gelangen: Stadtbus, Zug, ALT.

Die Fahrerin des Taxis stammt eigentlich aus dem Frankfurter Raum. In ihrer Welt sind es 450 km bis Frankfurt. In meiner Welt noch ca. 1.050 km - soviel zu dem Thema "Umwege" im einen oder anderen Kommentar. Aber sind es in diesem Zusammenhang wirklich "Umwege" oder sind es nicht viel mehr "Schauwege", "Erlebniswege", "Erholungswege" ?!

Ihre Tochter ist Lehrerin und hier oben hatten die was die Ad-hoc-Zwangs-Digitalisierung durch Corona angeht teilweise einen gewissen Vorteil: Die Kinder der Haligen nehmen schon seit vielen Jahren virtuell am Unterricht "ihrer Klasse" teil: Haben ja keine andere Chance, wenn sie auf ihren Werften sitzen und der Großteil der Kinder auf dem Festland. Da waren Verfahren eben schon eingeübt und mußten "nur noch" auf alle angewendet werden.

Nachdem mir die erste Haltestelle Dellbrück an der B431 doch gar zu unbekannt vorkommt, werde ich noch bis zur zweiten gebracht. Kenne ich. Paßt. Kann weiter gehen ...

Bis Wolmersdorf wird mich der Weg weiter nach Westen führen, den Haken nach Meldorf zum Übernachten kann ich mir sparen und dann orientiere ich mich gen Süden.

Gerade als ich in ein kleines Örtchen - vielleicht auch nur einen Weiler - spaziere, werde ich gegen 11 Uhr von einer illustren Frühstücksschar vom Gartentisch aus angesprochen: Da sitzen wohl drei Generationen einer Familie beim späten Morgenmahl.
Wir kommen richtig nett ins Gespräch und innerhalb kürzester Zeit erhalte ich eine Einladung zum Tee. Nun, die kann ich dann doch nicht annehmen und weiter muß ich ja auch noch. Aber unglaublich nett !

Über die weite Flur wandere ich bis zu einer Bank für eine kleine Pause, wo man sich prima in der Sonne Wind um die Ohren streichen lassen kann.

Der Wegweiser nach "Windbergen" amüsiert mich dabei natürlich schon: Bis zum Horizont nichtmal ein Hügelchen im Dellirium zu erahnen, aber der Wind ist schon da. Viel Wind. Ein Haufen Wind. Ah, vielleicht deshalb Berge von Wind ;-)

In Windbergen werde ich dann wieder aus dem Garten heraus angesprochen und eine Einladung auf ein Getränk folgt auf dem Fuße. Als Rolf (73 Jahre) dann allerdings Wind davon bekommt, daß ich eigentlich ja immer in den Alpen unterwegs bin, dann ist endgültig Schluß mit lustig:
Er wollte dieses Jahr schließlich von Oberstdorf nach Meran auf dem E5 über die Alpen, 4.000er in Mittel-/Südamerika hat er auch schon bestiegen und die Töchter waren wohl längere Zeit in Südamerika gewesen. Ich MUSS auf ein Getränk in den Garten kommen, während er Schreibzeug sucht, um sich mal meine Kontaktdaten notieren zu lassen. Wir plaudern angeregt über alle möglichen Touren und die Aktivitäten im Alter (er nennt sich selbst einen Spätberufenen, was Berge und Wandern - in Schweden war er auch schon mit dem Zelt unterwegs) und mit meinen Geschichten von Marianne kann ich ihm nur Mut machen !

Bis Sankt Michaelisdonn ist es aber noch ein ganzes Stück und so muß ich denn am frühen Nachmittag doch mal weiter.

Nach Guldendorf wird eine Gedenkstätte für russische Soldaten aus dem 2. Weltkrieg passiert und im Anschluß führt eine Forststraße mit grausiger Schotterkörnung (erwähnte ich schon die Prinzessinen-Schühchen ?) kerzengerade nach Süden.

An einem idyllischen Teich ergibt sich eine letzte nette Pause, bevor am Bahnhof unweit wieder die Rückreise-Logistik ansteht. 

Am Abend in der Unterkunft bekomme ich dann die Krise weil auch die weitere Quartiersituation bis zum Nord-Ostsee-Kanal einfach nicht besser wird :-(

In der Nacht kommt mir dann die rettende Idee: Ich werde einfach auf das Weltraumaeffchen-Verfahren (Kontext Phase 2) umsteigen. Was bei zu viel Schnee funktioniert, hat bei zu wenig Quartier vielleicht einfach noch keiner ausprobiert ?!
Dies in Kombination mit dem Vorschlag der Bodenkontrolle, doch den verpaßten Leistner/Wolpert-Umsatz (WACKEN) in deren Stamm-Hotel in Itzehoe zu kompensieren klingt nach einem Plan :-)


Begegnungen:
- nette Taxifahrerin (aus dem Frankfurter Raum stammend)
- unerschrockenes Kaninchen
- 3-Generationen-Familie beim späten Frühstück
- kleine Maus
- Rolf (spätberufener von Hütte-zu-Hütte-Bergwanderer)


Donnerstag, 30. Juli 2020

Tag 06: In Italien wäre ich jetzt tot

Welmbüttel - Bargenstedt/Dellbrück
(25,0 km - 240 Hm auf - 280 Hm ab)

Nach dem Frühstück spaziere ich zum ZOB im Ort oder zum impossanten Wasserturm - was beides auf's gleiche rauskommt (den größten "Markt"platz (eigentlich augenscheinlich eher ein "Parkt"platz) der Republik hatte ich ja bereits am Vortag auf dem Weg vom Bahnhof zur Unterkunft überquert.

Am idyllisch gelegenen See bin ich zuerst etwas überfordert: OK, hier die lokalen Linien, dort vorne die regionalen. Bei letzteren vergeblich die Linie nach Rendsburg gesucht. Mmmh, mal die beiden Männer, die da gerade schwatzend über den Platz marschieren (deshalb erst auf die zweite Ansprache reagieren) ansprechen ...

Jo, Bus nach Rendsburg, dort vorne, da muß einer von beiden auch mit. Er ist nämlich der Fahrer :-)

Aber wer zu letzt lacht: Beim Einsteigen will er dann schon Fahrschein nach Rendsburg drucken, dabei möchte ich doch nur ein paar Stationen bis Welmbüttel, wo ich am Vortag meine Wanderung unterbrochen hatte. Wieso ich denn dann nach Rendsburg gefragt habe ? Darauf, daß dies doch wohl das Ziel der Linie wäre, hat er dann doch nur ein nickendes Lächeln. Sind wir uns also einig ;-)

Den von der Bodenkontrolle aufbereiteten GPX-Track hatte ich per SD-Karten-Wechsel vom Handy zum GPS übertragen und jetzt beim Einstieg in den Weg nehme ich vor Ort gleich noch ein paar Optimierungen vor.

Das ist wohl nicht nach jedermanns Geschmack, jedenfalls wird Petrus mich heute mit ca. vier Mal gesamte Regenmontur an (und wieder aus) malträtieren, weil es jeweils innerhalb von Sekunden richtig heftig zu gießen anfängt.

Ich marschiere so dahin, zwischendrin muß ich dann für ein Kunstwerk doch mal den Foto aus seinem Regenschutzversteck hervorholen, denn diese bekannten Herrschaften haben verblüffend ähnliche Wanderausrüstung wie ich - allerdings bin ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so fertig, so in einer Bushaltestelle rumzulümmeln:

Die erste zu querende Landstraße ist eine einzige Baustelle und somit (fast - für einige gelten hier wohl keine Sperrschilder) ohne Verkehr, kurz danach an der zweiten muß ich aber ca. 500 Meter nach Süden an der stark befahrenen Straße entlang.
Nun, stellen wir uns mal vor, das machen wir wie in Kindertagen gelernt: Erst die Straße überqueren und dann auf der linken Fahrbahn (außerorts) dem Verkehr entgegen marschieren. Wegen meiner Prinzessin-auf-der-Erbse-A/B-Wanderschuhe, ist spazieren so halb auf dem Strich auch keine Option: Das fühlt sich unangenehm am linken Fuß an, als würde man auf eine Messerschneide treten.

By the way: Gilt man als Fußgänger eigentlich als einspuriges Verkehrshindernis (wie Radfahrer) ? Und wie ist das mit Kinder- oder zumindest Einkaufswagen ?

Am Horizont kommt jetzt jedenfalls ein 40-Tonner-Silo-Auflieger-Zugmaschinen-Gespann um die Kurve und gibt ordentlich Gas.  Wer meinen Dickschädel kennt: Ich komme mir jetzt ein wenig wie bei einem Duell um High Noon auf der staubigen Dorf-/Landstraße in einem Western vor. Show down: Er oder ich. Mal sehen, wer zuerst die Nerven verliert. Blickkontakt suchen und wer zuerst wegschaut verliert. Blöd, daß ich ohne Brille gar nicht (mehr) soweit sehen kann.

Letztlich bekommt der örtliche Erdmöbelfabrikant an diesem Tag allerdings gar nichts zu tun: Bereits ca. 300 Meter vor mir, setzt der einheimische Fahrer den linken Blinker und zieht seinen Koloss komplett auf die aus seiner Sicht linke Fahrbahn. Die 2-3 Autos im Schlepptau zieht er gleich hinter sich her.

In Italien wären die Alphas (ob jetzt ~Tiere oder ~Automobile oder gar erstere in letzteren, überlasse ich an dieser Stelle der Phantasie des geneigten Lesers) in jener Situation vermutlich wild hupend RECHTS am LKW vorbei gefahren. Und ich zu bestatten, weil sie ja wild dem LKW-Fahrer zu gestikuliert und nicht mehr auf ihren geschaut hätten.

Zurück in der netten Realität im Deutschen Nooorden: Ein Gruß ins Führerhaus, die Hand an die Schiebermütze von dort. Moin, moin, und schönen Tach noch ...

Kurz danach kommt noch ein Auto, welches bis auf Schritttempo die Geschwindigkeit reduziert. Mutmaßlich kommt aus meinem Rücken jetzt dichter Verkehr. Um der älteren Dame am Steuer etwas Platz zu machen, weiche ich in die Wiese aus. Sie gibt aber gar nicht Gas. Als sie auf direkten Sichtkontakt heran gekommen ist, schießen mir gleich zwei Geistesblitze unmittelbar durch den Kopf:

1. Ah, der Enkel-Effekt - kenne ich schon aus den Bergen: Irgendwie wecke ich bei älteren Damen immer gewisse Instinkte - komischerweise je wilder ich im Lauf der Zeit aussehe (Stichwort: "Bergpirat" oder "Räuber"), um so mehr.

2. Gut, daß sie nur so langsam fährt, weil so sehr wie sie mit der einen Hand mit mir zuwinken beschäftigt ist, hat sie MAXIMAL noch eine Hand am Steuer - Schalten könnte uns beide dann schon in den Graben bringen :-)


Am Schalenstein vorbei entschwinde ich in den Wald.

Da ich nicht in Albersdorf übernachte, kann ich den Ort einfach rechts liegen lassen und dem Weg immer gen Süden bis über die Bahn folgen, bevor die E1-Route wieder von dort hinzustößt.

Südöstlich von Albersdorf schlägt der Weg dann einen großen Bogen, verläßt die parallel laufenden Bahnstrecke, kreuzt die nächste Landstraße und führt dann am ersten größeren Windpark direkt an der Strecke vorbei gen Westen.

Im ersten möglichen Etappen-Ziel Tensbüttel (mit Busanbindung) pausiere ich nochmal und bestelle mir dann ein ALT (nein, trinke immer noch keinen Alkohol, aber die AST heißen hier eben "Anruf-Linien-Taxis") für Dellbrück, was in weniger als einer Stunde gut zu erreichen sein sollte.

Da diese Bedarfstaxis sich aber an einem (virtuellen) Busfahrplan orientieren, kann ich mir ganz gut Zeit lassen.

Multi-Modal mit zwei Mal umsteigen kehre ich zu meinem temporär stationären Quartier zurück.   


Begegnungen:
- 2 Häher (Details leider nicht zu erkennen)


Mittwoch, 29. Juli 2020

Tag 05: Wenn sich plötzlich Abgründe auftun

Erfde - Welmbüttel
(22,4 km - 220 Hm auf - 190 Hm ab)

Die lange Etappe an Tag 03 war (von Wällen/Mauern am Anfang und Hügeln und kleinen Wäldern gegen Ende mal abgesehen), Schleswig-Holstein-Klischee, wie sich das ein Süddeutscher so vorstellt/aus der Schublade holt:

Flaches Land, grüne/fette Wiesen, Kühe links, rechts, vorne, hinten, in allen Farbschattierungen, aber vorzugsweise mit hohem Schwarz-Weiß-Fleckvieh-Anteil, garniert die Landschaft noch mit ein paar Maisfeldern (zwecks Silage für den Winter ?) und Kanäle dazwischen.
An die Züge schreiben sie ja auch noch extra: "Der echte Norden".

Heute dagegen hatte ich ein total vielseitiges Programm mit Landschaft, Technik, Historie und natürlich auch Kühen - die waren wohl extra auf Touristen-Beschau (mit großen roten Rucksäcken) eingestellt, so kam es mir unterwegs zumindest zuweilen vor ;-)
Das Wetter war heute auch wieder sehr angenehm (während ich aus dem Süden von Stöhnen über Hitze höre, habe ich durch Wind/Sturm, Schatten und nur wenige Grad über 20°C eher zu weilen Probleme, die erkalteten Muskeln - erste wurden bereits gesichtet - nach Pausen wieder auf Touren zu bekommen).

Manchmal genügt mein Intellekt hier nichtmal zum (einwandfreien, d.h. ein-eindeutigen) Verständnis der Straßenschilder:
Zwischen Scheppern und Pahlen geht es recht nah an der Eider entlang und kurz vor dem Ortseingang von letzterem, erregt dann ein Verkehrszeichen meine Aufmerksamkeit, was im Süden (und in den Alpen) eher recht selten vorkommt:
Kaum bin ich über die Eider gegangen und will die Straße überqueren, schaue ich nochmal zurück und wo ich noch vor wenigen Minuten war, tun sich nun Abgründe auf:
Die Besteigung der Wand wäre ja vielleicht nur T4.5 (Geländer !), aber ich fürchte auf der anderen Seite hätten selbst die Huber Buam im Abstieg so ihre Schwierigkeiten - vom "Wassergraben" ganz zu schweigen.
Am alten Lokschuppen der nur von 1906-1936 in Betrieb befindlichen Schmalspurbahn mache ich mich ein wenig schlau und im weiteren Verlauf des Weges werde ich heute durch einen 40-Meter hohen Hügel auf der alten Trasse gehen (da wurde händisch eine Schneise hineingeschaufelt), durch das Moor (dort wurde der Abraum zum Aufschütten benutzt) und durch ein paar Wäldchen (hier natürlich Sumpf-typisch eher mit Pappeln/Birken statt der zuvor üblichen Buchen/Eichen).
Den E1-Zipfel gen Westen hinter Tellingstedt gehe ich noch, um in aber am westlichsten Punkt in Richtung Bushaltestelle zu verlassen.
Die drei langen Etappen ab Erfde (bei dem Namen muß man auf der Tastatur immer aufpassen, daß man nicht überdreht, sondern irgendwann auch wirklich aufhört ;-) mit gerade unmöglichen Übernachtungsoptionen, will ich auf vier Tage aufteilen und (gezwungermaßen) jeweils pendeln, um die "Connectet Footsteps" zu realisieren. 


Begegnungen:
2 große Libellen
1 Buntspecht

Tag 04: Spaziergang über einen Meilenstein

Stapel/Norderstapel - Erfde
(9,1 km - 50 Hm auf - 50 Hm ab)

Der Rest der gestern bereits zum großen Teil absolvierten zweiten Etappe der West-Variante ist das heutige Tagesprogramm.

Bei weniger als 10 Kilometern Entfernung, frühestem Check-in am Gasthof am Ziel um 17 Uhr und tagsüber geschlossenem Lokal am Start, sorgte dies für ein ungewöhnlich spätes Frühstück und dann für Zeit Verbummeln mit Blog-Schreiben und ähnlichem im Biergarten noch bevor es losgeht.

Am frühen Nachmittag wird es dann durch starke Bewölkung und Wind etwas ungemütlich und ich mache mich auf die Socken.
Das war jetzt natürlich eine Lüge: Just-in-time werden die Schlappen noch weggepackt und die Wanderschuhe über die Socken gestülpt.

So, so, dürfte auf Hochdeutsch so viel heißen wie: Eiter - Tränen - Sorgen. - Erinnert mich fatal an den Zustand der komischen Stelle am linken Fuß :-(

Aus dem Ort hinaus gen Süden ging es ins Land der zwei Berge.
Nicht lachen !

Bei schönem Wetter und klarer Sicht soll man von hier sogar die Eisenbahn-Hochbrücke von Rendsburg sehen können. Sagt man. Das ist aber wohl wie mit der Sonne hier oben: Tagsüber eigentlich immer da - man sieht sie nur (meist) nicht ;-)

Der Schotterweg aus dem Ort hinaus macht eine starke Biegung und führt wieder nach Norden. Ich muß nach Süden. Der Abhang links hinab sieht selbst mit Wanderstöcken unbegehbar steil aus (wie wenn man auf dem Hochplateau am Kinnaroden steht und den Steilhang zu "Nothing but Stones" ungläubig hinabschaut). Nun, hier sind es zwar nur ca. 30 Höhenmeter, dafür fehlen aber T-Markierungen, haltgebende Steine und Spuren, die zum Nachahmen animieren.

Aha, laut GPS sollte ein Abzweig auch direkt nach Süden führen. Mmh, auf den ersten Blick ist da nur eine (scheinbar) unbevölkerte Weide.
Mit etwas Phantasie ist rechts neben dem Stacheldraht so etwas wie ein Pfad zu erahnen - wären sa nicht dichte Himbeerranken und Brennnesseln. Mangels Alternative also auf in den Kampf. Schritt für Schritt und zwischendurch auch noch einen halben herabhängenden Baum verbiegen, um irgendwie vorbei zu kommen, ohne sich am Stacheldraht alles aufzureißen.

Es klappt. Nach einer Weile wird der Weg etwas breiter, führt von der DOCH lebhaft bewohnten Weide weg - nur leider nicht zum Talgrund, wo ich den Radweg schon sehen kann: Ich lande nämlich auf einer alten Brücke, wo der Bauer wohl zur Weide auch von unten herüber fahren kann. Nun noch heil die Restböschung unter Brücke Schritt, Stockeinsatz für Schritt, Stockeinsatz hinunter und erstmal richtig durchschnaufen.

Auf dem schmalen Treene-Radweg geht es nun schnurgerade - oh, ich korrigiere mir: 1x gibt es eine Richtungsänderung nach Erfde. Die 100-Kilometer-Marke seit der dänischen Grenze ist damit überschritten.

Der Wirt dort ist schon ein Schlitzohr: Wie im Internet zu lesen stand, am Vortag angerufen, um montags überhaupt übernachten zu können (Dienstag ist dann mal gleich ganz zu), daß der Eingang allerdings eine AST ist (Anruf-Sammel-Tür), hätte er mir ebenso sagen können wie die Tatsache, daß es montags auch gar nichts zu Essen gibt (trotz anders lautender Öffnungszeiten am Eingang).

Immerhin: Letzteres verhilft mir zu einem schon ca. 35 Jahre nicht mehr gehabten Einkaufs"erlebnis": Es gibt sie noch, diese GANZ alten Edeka-Läden. Und hier haben die sogar bis 22 Uhr offen...

Das eigentlich tragische Ereignis des Abends ist allerdings die ca. 1,5-stündige und bis dahin VÖLLIG ergebnislose Suche (zusammen mit/parallel zu der Bodenkontrolle) nach IRGENDWELCHEN Unterkünften mit verfügbaren Betten im Lauf der nächsten Tage und ca. 60km Wegstrecke (+ Nachbarorte). Aussichtslos. Und komisch: Als hätte man einen Schalter umgelegt, denn die Entfernung zur Nordsee dürfte wegen der südlichen Marschrichtung recht gleich bleiben und am Vortag in Norderstapel waren nur 4 Zimmer belegt, heute gar nur eines.

Letztlich quartiere ich mich für 3 Nächte in einer Jugendherberge in einem jetzt mal gerade lieber nicht zu nennendem Orte ein und nehme sehr viel Logistik auf mich.

Die Nacht verläuft überraschend ruhig, denn ich hatte schon befürchtet, Donald läßt auch hier die Nationalgarde in der Nacht einmarschieren, wenn er von diesem Schild mitten im Ort Wind bekommt:



Begegnungen:
- etliche freundliche Radler auf dem Radweg
- 1 Storch

Dienstag, 28. Juli 2020

Tag 03: Die Sache mit der Mauer

Schleswig - Stapel/Norderstapel
(34,2 km - 230 Hm auf - 280 Hm ab)

Heute verlasse ich die E1-Hauptroute, die nun an der Ostseeküste entlang über Kiel und Lübeck einen großen Bogen nach Osten machen würde.

In den dortigen Touristenhochburgen sind mir deutlich zu viel Leute, das mir völlig unbekannte Landesinnere reizt mich mal, 100 Kilometer/7 Tage weniger bis Hamburg sind auch ein Wort und letztlich hatte meine sowieso bereits getroffene Entscheidung ein Kunde (vielen Dank für den Rat an Herr W. aus Stuttgart an dieser Stelle), der bei seiner Begehung den Ostseeabschnitt als die einzig negative Erinnerung bis ca. Hannover noch im Kopf hatte (schweres Gehen durch den Sand; Steilküste hoch und runter; Weg bei Sturm/wegen Küstenabbrüchen teils nicht gehbar, so daß man Radwege an der Straße im Landesinnere nehmen mußte).

Ich begebe mich somit auf die West-Variante.
Unglücklicherweise war mir bereits im Vorfeld klargeworden, daß hier gleich die erste nahezu unüberwindbare Hürde lauerte und der Rat der Wiener Wanderführerautoren schon ein wenig - nun ja, sagen wir mal hinterhältig ist: Mangels Quartieroptionen auf der GESAMTEN ersten Etappe, empfehlen sie Busfahren zurück zum Ausgangspunkt oder weiter zum nächsten, um dann temporär mit festem Quartier und Logistik zu arbeiten.

Der Haken an der Sache: Die Gegend ist nicht nur so ländlich, daß es im Umkreis von knapp 20 Kilometern kein einziges Gästebett gibt (also von Verfügbarkeit noch gar nicht zu reden, sondern nur von Existenz) , sondern daß auch am gesamten Wochenende KEIN einziger Bus fährt.

Wir schreiben Sonntag :-(

Bereits zu Hause, hatte ich deshalb eine Monster-Etappe mit knapp 35 Kilometern für meinen dritten vollen Wandertag generiert und zu allem Übel regnete es morgens beim Loslaufen dann auch gleich noch.

Nach ca. 15 Minuten kam ich dann quasi vom Regen in die Traufe: STARKREGEN.

Eine geschlagene Stunde stapfte ich durch heftigen Regen, aber die neuen Schuhe und die ansonsten überwiegend meist bewährte Ausrüstung funktionierte den Umständen entsprechend, nur um Karin im Tarp machte ich mir zwischenzeitlich etwas Sorgen ...

Eigentlich sollte ich ja heute die große Mauer sehen bzw. sogar begehen.

Nein, nicht die Chinesische Mauer (erbaut 700-1650).
Nein, auch nicht DIE Mauer an der innerdeutschen Grenze/Berliner bzw. Görsdorfer Mauer (Baubeginn 1961).
Aber schon irgendwie doch wieder eine innerdeutsche Mauer: Den Margarethenwall/das Dannewerk (700-1864). Jahrhundertelanges Bollwerk hier im Norden bis es im Deutsch-Dänischen Krieg von Preußen und Österreichern (so klein ist die Welt und so muß ein Franke aus Bayern, deren ungeliebten Nachbarn dankbar sein, für die dadurch mögliche Wanderung im heute) entgültig geschliffen wurde und dadurch die heutigen Grenzen Deutschlands hier in der Gegend erst ermöglichten.
Wer jetzt übrigens meint: "Egal, sowieso alles Mitteleuropa" - der irrt, quasi amtlich ganz gewaltig: Das Danewerk gilt als das größte archäologische Denkmal NORDeuropas !

Als es gilt, auf den Wall abzubiegen, entscheide ich mich dann aber gegen Gras, unbefestigte Wege und ähnliches beim aktuelle Niederschlagsgemenge und bleibe vorerst auf einem Radweg parallel zur Anlage. Dort habe ich dann noch ganz andere Herausforderungen zu meistern: Unzählige 1-2 cm kleine Frösche hüpfen sichtlich erfreut kreuz und quer durch das Naß. Ich versuche zwar redlich allen auszuweichen (und sah dabei ab und an bestimmt ziemlich deppert aus - aber wer hätte mich schon sehen sollen, bei einem Wetter, wo niemand bei Verstand auch nur einen Fuß vor die Tür setzt ?), ob bzw. inwieweit das allerdings klappte, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Nachdem der Regen sich verzogen hatte bzw. fortgeblasen worden war, lasse ich Regenklamotten und Co erst noch ordentlich trockenföhnen, bevor nach insgesamt zwei Stunden Gehzeit eine kurze Pause am Krummwall angesagt ist und die Regensachen erstmal weggepackt werden können.

Kurz danach kommt mir ein Kaninchen auf dem Flurbereinigungsweg unaufgeregt entgegengehoppelt, im Schlepptau ein etwas übergewichtiger Hund. Keiner von beiden scheint mir bei dieser Pseudo-Jagd (der Hund hätte das Kaninchen NIE erwischt - nach dessen Abbiegen ins Maisfeld schon gleich gar nicht mehr) sonderlich ernst zu nehmen. Sah aus wie ein Spiel.

Ich komme mit der zum Hund gehörenden Bäuerin ins Gespräch (und durchaus länger). Charly (ein Australian Shepherd) hat's einfach nicht drauf: Als in der (Hunde-)Schule Kühe hüten dran war, hat er geschwänzt, bei Jagdkunde gepennt, bei Ernährungskunde sich fremdbeschäftigt und nun muß das Frauchen damit leben, daß er trotz ganz viel Bewegung einfach ein wenig zu dick und träge ist. Sein Problem: Das Beste was er an den Kühen findet, ist das Kraftfutter für die Kälber, was er selber gerne schnabuliert ...
Immerhin selbst die größten Schlawiner haben ja meist ein Fach, wo sie ganz gut sind: Bei ihm ist das Wachen auf Haus und Hof: Da hat er wohl mit Bravur bestanden.

Da mir noch ein langer Marsch bevorsteht, lasse ich die beiden hinter mir und genieße zwischendurch etwas die durch die Wolken spitzende Sonne. Die Realität (weiterer Regen !) sollte mich aber heute noch zwei Mal (nicht bitter, aber reichlich feucht) einholen.

Bereits nach vier Stunden habe ich das eigentlich laut Führer vorgesehene Etappenziel Dörpstedt erreicht und könnte wirklich mal eine Pause brauchen. In Unkenntnis der genauen Lage von Bushaltestellen (nicht weiter auf's GPS geschaut) halluziniere ich ohne Brille aus der Ferne bereits derart, daß ich schon ein Holz-Abhol-Holz-Häuschen für eine hölzenere Bushaltestelle mit Sitzgelegenheit halte.

An der nächsten größeren Abzweigung steht dann in der Nebenstraße allerdings WIRKLICH ein derartiges Häuschen, auch wenn alle sechs laminierten, ausgehängten Busfahrpläne nur das Mo-Fr-Dilemma bestätigen, bin ich froh für eine (trockene) Sitzgelegenheit. Das letzte Putzteam war zwar mutmaßlich irgendwann in der ersten Hälfte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hier (kann man an Spinnweben eigentlich auch irgendwie Jahresringe oder ähnliches zur Altersbestimmung abzählen ?) und die aktuellen Hauptnutzer scheinen Holzwürmer zu sein (Spänne-Volumen und der Fakt, daß ich mit der Holzbank auf der einen Seite fast ins Bodenlose abgesunken wäre (Querverstrebung wegerodiert), lassen darauf schließen).

Nach einer Stärkung geht es für mich auf die zweite Hälfte meines heutigen Marsches.

Unterwegs an einem mit Seerosen gespickten kleinen Kanal stellte ich noch fest, daß die Tiere hier im Norden genauso dumm sind, wie in den Alpen: Gerade, wenn man an ihnen vorbei ist - und sie gar nicht bemerkt hatte/hätte - DANN sorgen sie dafür, daß man sie doch sieht: Geräusch einer Ente. Größe eines Schwans. Optisch aber irgendwie ein wenig anders. Auf alle Fälle beeindruckend, der Sing-Schwan (die Täterbeschreibung wurde abends an den Spieleabend der Bodenkontrolle mit der Nach-Aachen-Flüchtigen weitergeleitet und nur wenige Minuten später konnte der Schurke identifiziert werden: Fahndungsfotos + sachdienliche Hinweise) !

Über einen HÜGEL ging es nach Bergenhusen, einem der bekanntesten Störchendörfer Deutschlands. Mehrere Dutzend Paare sollen hier in Hochzeiten brüten. Auf meinem direkten Weg durch's Dorf habe ich nur ein paar davon zu Gesicht bekommen, aber was will man mehr.

Regen wird mich nicht mehr groß behelligen, aber der weite Weg zu recht früher Zeit der Tour und noch dazu heute auf ca. 90% Asphalt/Beton/Pflaster fordern dann doch mit der Zeit ihren Tribut.

Aber mit ein wenig Traubenzucker (den hatte der Regen schon angeweicht: einerseits bekommt man die blöden Einzelverpackungen irgendwie nie richtig auf und andererseits findet das Wasser aber immer einen Weg) rette ich mich auch über die letzten Kilometer bis nach Norderstapel, wo ich etwas abseits des E1 mein letztes, von zu Hause vorgebuchtes Quartier (ein Biker-Gasthof - damit hatte ich in Österreich ja schon sehr gute Erfahrungen 2017 gemacht: gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, ordentliche Portionen, total nette/hilfsbereite Wirte und kein Problem mit Gästen, die nur 1 Nacht bleiben).


Begegnungen:
- unendliche viele kleine Frösche
- nette Bäuerin mit Charly
- ein Sing-Schwan (bronze farbener, gerader Hals, schwarze Schnabelspitze - dahinter knallgelb)
- 5 Störche auf 3 Horsten in Bergenhusen

 
 

Montag, 27. Juli 2020

Tag 02: Übernachten im Tarp

Tarp - Schleswig 
(29,4 km - 240 Hm auf - 220 Hm ab)

Heute galt es zuerst mal vier Kilometer gen Westen zurück auf die eigentliche E1-Route zu gehen. Zu Beginn geht es durch die vom Vortag bereits bekannten Grünanlagen und dann über einen Radweg ein paar Meter neben der Straße (bei uns gibt es die gefühlt nur vereinzelt, hier subjektiv nur vereinzelt NICHT). Oft sind die Radwege dann auch noch mit einer dichten grünen Wand aus Büschen und Bäumen bestückt, was etwas Schatten bieten könnte (wenn es mal nicht Wander-freundlich stark-bewölkt wäre) oder etwas Schutz bei Regen-/Sturm (auch noch nicht nötig).

Im nächsten Ort geht es auf dem E1 dann wieder nach Süden über kleine Sträßchen.

Zuweilen finden sich etwas abseits des Weges Pilgerunterstände, wo man notfalls wohl auch mal eine Nacht ganz gut überstehen könnte:

Als ich am Waldrand auf einem Hügel in der Ferne eine Bank erspähe und über ein vorzeitiges Päuschen nachdenke, muß ich feststellen: Belegt !

Karin und Freddy (ein kleiner Mopps) aus Hamburg sitzen hier und unweit sind Reste von weitläufigen Verwandten von Donald Duck auszumachen: Naja, Freddy ist wohl kaum in der Lage, Enten oder Gänse zu jagen (eher versucht er es mal bei Radfahrern), aber über einem Busch hängt der dicke Daunenschlafsacke von Karin zum trocknen.
Sie ist von Flensburg den E1 das Stück an der Ostseeküste entlang unterwegs und wegen des Hundes sind feste Quartiere schwierig, aber sie schläft sowieso gerne draußen.

Wir haben also beide im Tarp geschlafen.
Unaufmerksame Leser, die mich aber persönlich ein wenig kennen, werden jetzt einwenden, wie das sein könne, wo ich doch sonst - wenn überhaupt - erst (weit) jenseits des nördlichen Polarkreises oder erst (weit) oberhalb der 3.000-Meter-über-Normalnull-Marke zu maximal der Übernachtung im Zelt zu nötigen bin.

An sich ganz einfach:
1. Karin hat in einem Tarp (Kurzform von Tarpaulin) geschlafen.
2. Ich wollte das auch schon immer mal, allerdings bin ich halt kreativ, was solche Dinge angeht:

Wir kommen jedenfalls ins Gespräch und wie das bei Weitwanderern häufig bis meistens so ist, kommen wir prima miteinander aus und so gehen wir die nächsten 20 Kilometer bis Schleswig in ständiger Plauderei gemeinsam.

Weil manchmal Wegmarkierungen nicht existieren, zugewachsen/ungünstig angebracht sind oder auch weil wir schlicht vor lauter Quatschen etwas übersehen, darf uns das GPS immer wieder auf den rechten Pfad zurückbringen  (Karin hat Papierkarten dabei, aber ausgerechnet der Schleswig-Zipfel fehlt ihr, wie sie feststellen mußte). Große Umwege fallen aber nicht an.

Sie hätte mit weniger Asphalt-Anteil gerechnet, ich hier in der Gegend sogar noch mehr befürchtet, aber letztlich kommt man in netter Begleitung auf jedem Untergrund gut voran.

Hatte ich auf die Entfernung noch ein weiteres potentielles Fernwander-Pärchen/-Duo erspäht (die großen Rucksäcke ließen das auch ohne Brille erahnen), wundern wir uns, daß diese uns selbst bei unserer langen Mittagspause im Wald an einem See nicht erreichten.

Entgegen kam uns eine Weitwanderin mit Wanderanhänger - hatte ich bisher noch nie gesehen - ist für alpine Touren aber auch eher weniger geeignet (Einachser, Raddurchmesser ca. 60cm, schieb-/ziehbar).

Südlich des Schleswiger Schloßes trennten sich die Wege von Karin und mir nach einem herzlichen Abschied (auf Corona-Abstand). Aber wer weiß, vielleicht sieht man sich früher oder später irgenwann und irgendwo wieder - wie das mit den Weitwanderern halt so ist (da soll ja schon der Jobsti aus dem Harz in der Nähe des nördlichsten Festlandpunktes Europas im nirgendwo Kerstin und Peter aus München getroffen haben, munkelt man, oder Peter aus dem Frankfurter Raum den Martin aus Wien (seines Zeichens verantwortlich für die aktuellen E1-Wanderführer für Deutschland) in der Nähe des Nordkapps mit Bier versorgt haben).

Aber eines muß ich Karin denn doch noch mitgeben: Auch Du hast mich heute nicht deutlich weiter von Fahrrad und Camping überzeugen können, wie die Bodenkontrolle (in den letzten 10 Jahren) - zwischenzeitlich dachte ich ja schon, Dich hätte nicht der Himmel, sondern ganz irdische Mächte auf missionarische Mission geschickt ;-)

An dieser Stelle auch mal liebe Grüße an alle mitlesenden sympatischen M-V-/G-M-/02er-Wanderer :-)

Karin wird weiter der Hauptroute an der Ostseeküste entlang folgen und ich am kommenden Tag auf die West-Variante ins Landesinnere abbiegen (Vermeidung der überfüllten Ostseeküste). Über die morgen anstehende Monsteretappe konnte ich mir heute noch gar keine Gedanken machen ... 


Begegnungen:
- Karin und Freddy aus Hamburg
- 2 Weitwanderer aus der Ferne
- 1 Weitwanderin mit Wanderwagen auf dem Weg nach Norden
- 1 kleiner Frosch


Tag 01: Soll-Ist-Abweichung

Flensburg - Tarp
(24,0 km - 230 Hm auf - 210 Hm ab)

Morgens im Hostel war Corona-bedingt Frühstücken in 6er-Schichten an einem großen Tisch und fester Platzordnung angesagt. Pünktlichst um 8 Uhr war ich am Start, zwei Paare waren auch gleich vor Ort, nur der Platz mir gegenüber blieb noch eine Weile frei, bis ein Mädel (Katrin aus München, wie sich herausstellen sollte) die Gruppe vervollständigte.

Das Frühstück war grandios lecker und vielfältig und mittendrin sprach mich Kathrin wegen meines T-Shirts (ist ja auch in Deutschlands, Ost-Österreich im Umlauf und könnte es in der Schwiz sein) an - in morgendlich geistiger Umnachtung hatte sie zwar noch München und Monaco durcheinander gebracht, aber mindestens in den italienischen Wochen während des Oktoberfests ist das ja sowieso (auf Italienisch nämlich) kein Unterschied mehr und außerdem gilt München sogar als inoffiziell nördlichste Stadt italienischen Flairs.
So kamen wir in ein richtig nettes Gespräch, was letztlich nur ein Ende fand, da die zweite Frühstücksschicht anstand. Und ein paar Meter hatte ich mir für die erste richtige Etappe heute ja auch noch vorgenommen.
Kathrin jedenfalls schweift gerade für 9 Wochen kreuz und quer durch Deutschland, viel auf Nebenstraßen und zu Orten, wo sie schon immer mal hinwollte. Auch ein interessantes Projekt (Link) !

Rucksack zusammengepackt (so langsam setzt unmittelbar wieder die Wanderroutine ein) und los ging's. Durch grüne Anlagen und Nebenstraßen, am Bahnhof vorbei ging aus der Stadt gen Süden.

Was hier im Nooorden auffällt: Die Leute sind total freundlich, haben immer ein nettes Wort, selbst wenn Du Dich nichtmal mit unterhältst, sondern nur im vorbeigehen ein "Moin" austauschst, schalt Dir des öfteren (völlig unvermittelt) ein "Einen schönen Wandertag !") hinterher. Und wenn Du bei der Mittagspause in einem Buswartehäuschen in einem kleinen Dorf rumlungerst, wirst Du ganz nett vom vorbeikommenden Knirps gegrüßt - nun, als Kind haben mir die Eltern zwar auch beigebracht, die älteren Leute im Dorf zu grüßen, aber davon Fremde unzusprechen war nicht so unbedingt die Rede oder bin ich jetzt auch schon soooo alt ?

Zwischendurch finden sich immer mal Relikte von früher am Weg:

Über Flurbereinigungswege oder kleine (maximal von Traktoren) bevölkerten Sträßchen und Alleen mit großen Eichen oder Buchen direkt an der Straße (mangels Notwendigkeit von Straßenverbreiterungen, sind die jenen nie zum Opfer gefallen) geht es direkt ins Grüne.

Ab und an werden kleinere Ortschaften durchquert und das eine oder andere Wäldchen durchschritten.

Dazwischen geht es quasi immer nach dem "freien Willen":
In einem etwas größeren Wald, schickt mich mein GPS ab von der offiziellen E1-Markierung. Ah, vermutlich ist hier schon der Abzweig nach Südwesten, denn ich werde heute (mangels Alternativen) ein paar Kilometer abseits der Route nächtigen.

Ich gehe jetzt ein Stück des Ochsenwegs (regionaler Radweg) auf einem traumhaften Pfad durch wen Wald und als Nicht-Radler erschließt sich mir jetzt in einer scharfen Linkskurve den Hügel hoch auch ENDLICH das Konzept der Radschnellfernwege, von denen in den Medien neuerdings immer die Rede ist: Also wenn von DEM Hügel jetzt ein Radler runterkäme, wäre der richtig SCHNELL und ich wohl BITTE (aber FLOTT !) ausweichend ins Gebüsch gesprungen ;-)

Nach Durchquerung eines Landschaftsschutzgebiets um einen ehemaligen Steinbruch, wo u.a. die Steine für den Damm nach Sylt gebrochen wurden, erreiche ich komischerweise wieder die E1-Markierung ?!
Hoppla, da könnte die Wegemacher mal nachbessern: Statt Asphalt und Schotter war mein lauschiger Waldpfad doch tausenmal schöner - oder stecken da Maßnahmen der Radlmafia dahinter ?

Zwischendrin kann ich dann noch ein Indiz gegen die These von 123Maine ("Geocaching ist ein Such- und kein Finde-Spiel") finden, da mir bei einem kleinen technischen Halt 2m abseits des Weges die Stein-Stock-Kombination im Wurzelbereich eines Baumes schon arg verdächtig vorkommt. OK, bevor er mich beißt: Bingo !
Letztlich werden Bianca und Thomas dann aber doch recht behalten haben, den für die Suche nach dem Petling-0815-Listing braucht es die PM-Bodenkontrolle. Hat man Worte :-(

Die Autobahn wird im Grünen unterquert und kurz danach sind weitere verdächtige Machenschaften zu beobachten: Nicht ein, sondern gleich zwei Männlein und ein Weiblein stehen im Walde und von einer mächtig hohen Buche hängen zwei dünne Schnüre. So, so, (vertikale) T5-Cacher.
Ich wünsche viel Glück und mache mich an den Endspurt in den nächsten Ort, wo ich in einem Landgasthof Quartier vorab gebucht hatte.


Begegnungen:
- Katrin (aus München, mit dem Auto 9 Wochen kreuz und quer durch Deutschland unterwegs)
- 1 kleiner Frosch
- 1 Geocache
- 3 T5-Geocacher


Samstag, 25. Juli 2020

Tag 00: Ein grenzwertig langer Tag

Grenze Kupfermühle - Flensburg
(10,0 km - 90 Hm auf - 100 Hm ab)

Um kurz nach 04:00 Uhr morgens klingelt der Wecker in Erlangen. Die Taxifahrerin ist auch alles andere als begeistert, aber zwei große Tassen dampfender Schwarzer Tee mit Milch (man will sich dem Zielgebiet ja schon mal anpassen) wecken die Lebensgeister und letztlich sind wir 2 min vor Abfahrt des Zuges auch schon am letzten Bahnsteig des Erlanger Hauptbahnhofs (endlich geht es wieder nach meinem Zeitplan ;-) und per RE nach Nürnberg Hbf.


Dort fährt der ICE gen Hamburg bereits kurz nach meiner Ankunft am Gleis ein - allerdings war noch Zeit genug, daß ich mich nach Wagenstandsanzeiger korrekt aufstellen konnte, nur um dann feststellen zu müssen, daß die Wagenreihung heute wohl genau umgekehrt ist: Das sind schon die ersten paar Hundert ungeplanten Zusatzmeter mit schwerem Gepäck.

Darf ich jetzt zusammen mit dem Marsch durch das morgendlich verschlafene Erlangen  auch das Bundesland Bayern als auf dieser Tour erwandert abhaken ? - Die Weitwanderexperten haben da bestimmt eine Meinung, ich harre Eurer Kommentare.

Die meiste Zeit bis Hannover verschlafe ich, dann tun die Knochen vom Sitzen schon wieder so weh, als wäre ich bereits 50 km mit 25 kg auf dem Buckel marschiert - dabei habe ich doch sogar 2kg weniger als auf dem Zentralalpenweg (die Hälfte davon geht schon auf den kleineren Rucksack) und an den Füßen habe ich auch etliche Hundert Gramm weniger. Auf den Rippen dafür um so mehr. Höchste Zeit für Bauch-weg-Urlaub ;-)

In Hannover brennt die Sonne noch vom stahlblauen Himmel, aber spätestens beim Aussteigen in Hamburg Altona (natürlich aus dem Wagen, der am weitesten vom Kopf des Bahnhofs weg ist) bestätigt sich meine Arbeits-Hypothese, daß es im Norden Deutschlands
1. sowieso weniger Sonne gibt
2. und es nicht so heiß wird

Daß ich aber nicht auf einem 3.000er überlege, im Sommer Fleecepulli und Mütze überzustreifen, sondern auf dem jämmerlich kalten Bahnhof von Altona, gibt mir schon zu denken.
Ich wechsle in den RE gen Flensburg - wie mir Hamburger Insider zwei Tage später werden gesteckt haben, steht der IMMER bereits mehr als 30min vorher am Gleis und Kiel ist immer vorne (Zugteilung), Flensburg hinten und die erste Klasse natürlich GANZ am Ende.
Sprach ich schon von den Zusatzmetern ? Hier kam gleich noch ein ordentlicher Batzen oben auf.

Die Sitze im RE waren immerhin kompatibler zu meinem Rücken, so daß ich keine weiteren Dehnübungen mehr im Zug durchführen mußte (obschon so wenige Menschen in der ersten Klasse waren, daß ich kaum zur Belustigung anderer beigetragen haben dürfte).

Gerade, wenn ich so jeden Satz ca. dreimal tippe, fällt mir ein weiterer Grund ein, warum ich WENN immer LANGE Touren machen muß: Muß mich erst wieder an die Falttastatur für unterwegs gewöhnen (mal schauen, wo ich soweit bin, daß das wieder ganz gut klappt), diesmal immerhin nicht mehr mit y/z-Problem.

Auf dem Weg nach Flensburg wird mir bei der Eisenbahn-Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg noch ganz Angst und Bange: Die erste Klasse ist im Obergeschoß, ich sitze rechts und schaue ins N I C H T S: Von da oben ist nichtmal ein Geländer zu sehen und die deutliche Geschwindigkeitsreduzierung des Zugs, die Kurve, das metallische Quietschen und das Alter der Metallbrücke geben mir schon zu denken.
Erwähnte ich bereits meinte Schwindelanfälligkeit (also jene wegen der Höhenangst, nicht die mit der Unwahrheit) ? - Eigentlich dachte ich ja, hey E1 =  Flachland + ein paar nette Mittelgebirge ... Aber da taten sich nun bereits bei der Anreise ABGRÜNDE auf.

Interessant ist auch, daß der Zug einen kompletten Kreis fährt und dabei auch unter seiner eigenen Strecke wieder hindurchkommt.

Kurz nach der Ankunft am Flensburger Hauptbahnhof kommt auch bereits ein Bus der Linie 1, der mich bis zur Grenze bei Kupfermühle bringen soll.
Offiziell ist die Dänische Grenze für Fußgänger  gesperrt und wer ins Land will, muß mindestens sechs vorgebuchte Übernachtungen bei der Einreise nachweisen.

Die Besichtigung der legendären blauen Rolltreppe an der Grenze und Posieren mit dänischen Grenzschildern fiel somit aus, da der Übergang des E1 so unscheinbar ist, daß ich plötzlich in Dänemark stand und auf dem Rückweg nichtmal mit genauem Umschauen Schilder, Grenzstein oder ähnliches erblicken konnte (da lobe ich mir doch die Österreicher, die in meinem Namen 147er KK-Grenzsteine nicht zu übersehen an all Ihren Grenzen sehr auffällig und ich großer Zahl platziert haben).

In den wenigen Minuten bis ich mich von der Grenze auf meinen (Fuß-)Weg zurück nach Flensburg mache, eilen sicherlich 10 Personen zu Fuß oder mit dem Rad gen Süden oder Norden über die Grenze - von wegen geschlossen.


Ein paar (stoffelige) Fernwanderer kommen auch mit recht unrundem Schritt gen Süden herüber, auf einen Gruß fällt Ihnen außer missmutigen Gesichtern allerdings nichts ein. Immerhin eine Ausnahme.

Seit 1969 gibt es große Teile des Europäischen Fernwanderwegs E1 - somit entstanden diese sogar noch vor den Österreichischen WeitWanderWegen (WWW).


10 Kilometer stehen für mich jetzt bis zum Hostel Seemannsheim in der Flensburger Innenstadt direkt gegenüber der Flensburger Förde an. Das klingt nach perfektem Auslauf-Programm nach 8,5 Stunden Anreise mit Zug und Bus.

Der Weg führt durch viele Laubwälder (Buchen und Eichen dominieren) im Zick-Zack und die größeren Straßen werden maximal gekreuzt und eine vierspurige Schnellstraße sogar auf kuriose Weise: Im Wald führt plötzlich einen serpentinenartig angelegter Singletrail steil bergab und plötzlich steht man auf einem Autobahn-artigen Parkplatz.


Ich bin etwas irritiert, aber sogleich erspähe ich einen Fußgänger-Tunnel mit dem weißen Andreaskreuz der E-Wege und denke mir, das ist ja geschickt gelöst: Die Autofahrer gen Süden könnten durch den Tunnel die WC-Anlage auf der anderen Seite erreichen, man mußte somit nur einen bauen und die Fernwanderer durchtunneln so ebenfalls und entschwinden auf der anderen Seite gleich wieder weg von der Straße geradewegs auf einen Mini-Golfplatz (hinter gräßlichen Neubauten, die man vom Weg zwar nicht sieht, ich aber die Stelle von der Busfahrt von der anderen Seite gleich wieder erkenne).


War es bisher stark bewölkt, setzte nun Regen ein. Das war so nicht geplant. Aber nach einer kurzen Rast unter einem Baum, legte sich das wieder und so konnte ich nach einer Foto-Session einer bayerischen Familie (die boten mir Mitfahrgelegenheit an, falls ich in 7 Tagen keinen Bock mehr hätte) über die Uferpromenade gen Flensburg spazieren. Über Nebenstraßen ging es dann bis ins Zentrum.

Das 4er-Zimmer war (wie zu erwarten) Corona-bedingt nur zur Hälfte belegt, eigentlich gemeinschaftlich zu nutzenden Sanitärräume nun jeweils zwei Zimmern fest zugeordnet und für das Frühstück mußte man sich in Schichten einteilen (lassen). Naja, 8 Uhr ist immerhin besser als 9 oder 10 ;-)

Als altem Mafioso hat mich dann vor dem Zubettgehen noch etwas irritiert (und die halbe Nacht in Gedanken beschäftigt), daß hier der Clan-Kriminalität augenscheinlich sogar offen gehuldigt wird, auch wenn mir der Name dieser Gang gar nichts sagt (evtl. eine dänische Vereinigung der organisierten Kriminalität ?):




Begegnungen:
- 2 Stoffel-Wanderer an der Grenze
- 4-köpfige Familie aus Rosenheim

 

Freitag, 24. Juli 2020

Tag -1: Der Sturm vor der Ruhe

Um 15:30 Uhr gedachte ich, die Arbeit für diesen Sommer einzustellen, den letzten fragwürdigen Kollegen hatte ich dann fünf vor VIER aus der Leitung.
Die Bodenkontrolle hatte sich für 17:30 Uhr zwecks Abholung aus heimatlichen Gefilden und Überführung nach Erlangen angekündigt.
Das Motivations-Abschieds-Essen mit einer Guru (oder wie nennt man weibliche Fachfrauen ? - mutmaßlich Gurvi, aber das versteht dann wieder keiner - naja, wäre bei meinen Ausführungen auch nichts wirklich neues ;-) war am üblichen Orte (Pleitegeier) mit dem üblichen Henkersmahle (für die üblichen Gurus: Bananen-Pizza mit scharfem Curry) für 18:30 Uhr anberaumt.

Tja, blieben nur noch ein paar wenige (ca. 2 Dutzend) ToDos und da waren so legere Kleinigkeiten wie Rucksack-Packen dabei.

Also eigentlich war ja alles vorbereitet:


Nur hatte ich KEINE Ahnung, ob das auch alles in den neuen, mit 45+10 Litern deutlich verkleinerten aber farbigen (damit man im Flachland gesehen wird) Rucksack passen würde:


Naja, der große 60+15 von 2014 und 2017 aus dem Keller wäre zur Not zwar ein farbloser aber sicherlich hochfunktionaler Ersatz gewesen. Mit etwas Drücken, Ziehen und Stopfen paßte das meiste bereits bis 17:10 Uhr hinein.

Dann klingelte es an der Wohnungstür.
Voreilige Nachbarn zu verabschieden ?
Der Bauträger, der die Dusche sanieren will ?
Zeugen Jehovas ?
Egal. Hauptsache schnell abgewimmelt  ! - Schwungvoll die Tür aufgerissen und Gesichtszüge entglitten: Das Taxi !

Nun, ich muß mich natürlich für meine Mimik dem hilfsbereiten, entspannten Lächeln gegenüber eigentlich entschuldigen, aber in dieser Situation ...

Hätte ich das auch nur geahnt, hätte ich ja einen entsprechenden Arbeitsplan zur (stillen) Abarbeitung vorbereitet gehabt, so war Improvisation gefragt, das fleißige Helferlein arbeitete aber in großen Teilen selbstständig und letztlich waren auch die letzten technischen Hürden (das "Ich bin dann mal weg" wollte erst nicht durch die zu diesem Zeitpunkt noch funktionierende Leitung) gemeistert.

Der Rest von oben (der noch nicht im Rucksack war) ging dann separat mit auf die Überführung in die kleine Großstadt im Osten.

18:28 Uhr Ankunft mit der Bodenkontrolle (Mensch, jetzt wird man sogar schon vor dem Start gesteuert) am Pleitegeier. Kann mich an keine solche Situation erinnern, wo ich mal nicht das akademische Viertel ausgenutzt hätte.

Tine vermutlich auch nicht. Sie kam entsprechend passend ;-)

Im heimischen Kampf, wer bei den Kindern bleiben darf und wer den Kurzgeschorenen verabschiedet, hatte sie diesmal die "Kennt-sich-mit-Wandern-aus"-Karte gespielt und war höchstselbst erschienen.

Nun, mein Chef-Motivator* (also erst war er mein Chef, dann 2014 und 2017 derjenige, der mich für meine Touren wahnsinnig motivierte - der kann das nicht nur in beruflichen Dingen, sondern auch was so Freizeit-Kram angeht !) war also abwesend, aber nichtsdestowenigertrotz war die traute Dreier-Runde ein würdiger, vertrauter und motivierender Abschied.
Erst an diesem Abend in eine kurze, um nicht zu sagen sehr kurze Nacht und dann (hoffentlich) für lange Zeit ... 



* Daß mir Udo als Chef mal einen Sid (das ist das Faultier mit der Otto-Stimme aus "Ice Age") schenkte, könnte Menschen, die ihn nicht kennen (und auch nicht die beigefügte verschlüsselte Botschaft entziffert hätten) schon ein wenig bzgl. meiner einer zu denken geben, aber er bezog das - so sagt man - nur auf die Bewegungsfäule.
Nachdem ich Kritik gegenüber ja TOTAL aufgeschlossen bin, habe ich mir im nächsten Jahr meine Arbeitskollegin und seine heutige Ehefrau geschnappt (bzw. sie mich erduldet) und mich von ihr 2008 von München nach Venedig über die Alpen jagen lassen. Der Rest der Geschichte(n) ist ja bekannt ...
Ja, Tine hat also durchaus Weit-Wander-Kompetenzen - ist zwar ein paar Tage her, aber das ist wie Radfahren: Verlernt man nicht, macht manch einer nur einfach nicht mehr ;-) 


Begegnungen:
- Ursula
- Bodenkontrolle
- Tine
- eine schwarze Katze
- Geier