Donnerstag, 30. Juli 2020

Tag 06: In Italien wäre ich jetzt tot

Welmbüttel - Bargenstedt/Dellbrück
(25,0 km - 240 Hm auf - 280 Hm ab)

Nach dem Frühstück spaziere ich zum ZOB im Ort oder zum impossanten Wasserturm - was beides auf's gleiche rauskommt (den größten "Markt"platz (eigentlich augenscheinlich eher ein "Parkt"platz) der Republik hatte ich ja bereits am Vortag auf dem Weg vom Bahnhof zur Unterkunft überquert.

Am idyllisch gelegenen See bin ich zuerst etwas überfordert: OK, hier die lokalen Linien, dort vorne die regionalen. Bei letzteren vergeblich die Linie nach Rendsburg gesucht. Mmmh, mal die beiden Männer, die da gerade schwatzend über den Platz marschieren (deshalb erst auf die zweite Ansprache reagieren) ansprechen ...

Jo, Bus nach Rendsburg, dort vorne, da muß einer von beiden auch mit. Er ist nämlich der Fahrer :-)

Aber wer zu letzt lacht: Beim Einsteigen will er dann schon Fahrschein nach Rendsburg drucken, dabei möchte ich doch nur ein paar Stationen bis Welmbüttel, wo ich am Vortag meine Wanderung unterbrochen hatte. Wieso ich denn dann nach Rendsburg gefragt habe ? Darauf, daß dies doch wohl das Ziel der Linie wäre, hat er dann doch nur ein nickendes Lächeln. Sind wir uns also einig ;-)

Den von der Bodenkontrolle aufbereiteten GPX-Track hatte ich per SD-Karten-Wechsel vom Handy zum GPS übertragen und jetzt beim Einstieg in den Weg nehme ich vor Ort gleich noch ein paar Optimierungen vor.

Das ist wohl nicht nach jedermanns Geschmack, jedenfalls wird Petrus mich heute mit ca. vier Mal gesamte Regenmontur an (und wieder aus) malträtieren, weil es jeweils innerhalb von Sekunden richtig heftig zu gießen anfängt.

Ich marschiere so dahin, zwischendrin muß ich dann für ein Kunstwerk doch mal den Foto aus seinem Regenschutzversteck hervorholen, denn diese bekannten Herrschaften haben verblüffend ähnliche Wanderausrüstung wie ich - allerdings bin ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so fertig, so in einer Bushaltestelle rumzulümmeln:

Die erste zu querende Landstraße ist eine einzige Baustelle und somit (fast - für einige gelten hier wohl keine Sperrschilder) ohne Verkehr, kurz danach an der zweiten muß ich aber ca. 500 Meter nach Süden an der stark befahrenen Straße entlang.
Nun, stellen wir uns mal vor, das machen wir wie in Kindertagen gelernt: Erst die Straße überqueren und dann auf der linken Fahrbahn (außerorts) dem Verkehr entgegen marschieren. Wegen meiner Prinzessin-auf-der-Erbse-A/B-Wanderschuhe, ist spazieren so halb auf dem Strich auch keine Option: Das fühlt sich unangenehm am linken Fuß an, als würde man auf eine Messerschneide treten.

By the way: Gilt man als Fußgänger eigentlich als einspuriges Verkehrshindernis (wie Radfahrer) ? Und wie ist das mit Kinder- oder zumindest Einkaufswagen ?

Am Horizont kommt jetzt jedenfalls ein 40-Tonner-Silo-Auflieger-Zugmaschinen-Gespann um die Kurve und gibt ordentlich Gas.  Wer meinen Dickschädel kennt: Ich komme mir jetzt ein wenig wie bei einem Duell um High Noon auf der staubigen Dorf-/Landstraße in einem Western vor. Show down: Er oder ich. Mal sehen, wer zuerst die Nerven verliert. Blickkontakt suchen und wer zuerst wegschaut verliert. Blöd, daß ich ohne Brille gar nicht (mehr) soweit sehen kann.

Letztlich bekommt der örtliche Erdmöbelfabrikant an diesem Tag allerdings gar nichts zu tun: Bereits ca. 300 Meter vor mir, setzt der einheimische Fahrer den linken Blinker und zieht seinen Koloss komplett auf die aus seiner Sicht linke Fahrbahn. Die 2-3 Autos im Schlepptau zieht er gleich hinter sich her.

In Italien wären die Alphas (ob jetzt ~Tiere oder ~Automobile oder gar erstere in letzteren, überlasse ich an dieser Stelle der Phantasie des geneigten Lesers) in jener Situation vermutlich wild hupend RECHTS am LKW vorbei gefahren. Und ich zu bestatten, weil sie ja wild dem LKW-Fahrer zu gestikuliert und nicht mehr auf ihren geschaut hätten.

Zurück in der netten Realität im Deutschen Nooorden: Ein Gruß ins Führerhaus, die Hand an die Schiebermütze von dort. Moin, moin, und schönen Tach noch ...

Kurz danach kommt noch ein Auto, welches bis auf Schritttempo die Geschwindigkeit reduziert. Mutmaßlich kommt aus meinem Rücken jetzt dichter Verkehr. Um der älteren Dame am Steuer etwas Platz zu machen, weiche ich in die Wiese aus. Sie gibt aber gar nicht Gas. Als sie auf direkten Sichtkontakt heran gekommen ist, schießen mir gleich zwei Geistesblitze unmittelbar durch den Kopf:

1. Ah, der Enkel-Effekt - kenne ich schon aus den Bergen: Irgendwie wecke ich bei älteren Damen immer gewisse Instinkte - komischerweise je wilder ich im Lauf der Zeit aussehe (Stichwort: "Bergpirat" oder "Räuber"), um so mehr.

2. Gut, daß sie nur so langsam fährt, weil so sehr wie sie mit der einen Hand mit mir zuwinken beschäftigt ist, hat sie MAXIMAL noch eine Hand am Steuer - Schalten könnte uns beide dann schon in den Graben bringen :-)


Am Schalenstein vorbei entschwinde ich in den Wald.

Da ich nicht in Albersdorf übernachte, kann ich den Ort einfach rechts liegen lassen und dem Weg immer gen Süden bis über die Bahn folgen, bevor die E1-Route wieder von dort hinzustößt.

Südöstlich von Albersdorf schlägt der Weg dann einen großen Bogen, verläßt die parallel laufenden Bahnstrecke, kreuzt die nächste Landstraße und führt dann am ersten größeren Windpark direkt an der Strecke vorbei gen Westen.

Im ersten möglichen Etappen-Ziel Tensbüttel (mit Busanbindung) pausiere ich nochmal und bestelle mir dann ein ALT (nein, trinke immer noch keinen Alkohol, aber die AST heißen hier eben "Anruf-Linien-Taxis") für Dellbrück, was in weniger als einer Stunde gut zu erreichen sein sollte.

Da diese Bedarfstaxis sich aber an einem (virtuellen) Busfahrplan orientieren, kann ich mir ganz gut Zeit lassen.

Multi-Modal mit zwei Mal umsteigen kehre ich zu meinem temporär stationären Quartier zurück.   


Begegnungen:
- 2 Häher (Details leider nicht zu erkennen)


3 Kommentare:

  1. Aaah ich habe den Start verschlafen!! Doch ab jetzt bin ich täglich live dabei - Moin!

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  2. Moin Kapitän M.

    Willkommen an Bord !

    Schöne Grüße vom 1. Offizier,
    K2.

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  3. Die Bushaltestelle ist super, da wäre ich so schnell nicht mehr vom Sofa runter gekommen....

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