Mittwoch, 1. September 2021

Tag 37: Gestatten, blauer Regenschirm ohne Kopf

Adorf Willingen
(27,4 km - 740 Hm auf - 460 Hm ab)

Am Morgen im Gasthof zur Linde in Adorf bekomme ich nun auch noch mit, wer neben den beiden Wanderer-Pärchen (hier gehen viele den sog. Diemelsteig), die der Wirt gestern nach meiner Ankunft noch per Auto von unterwegs eingesammelt hat (Shuttle-Service), noch im Haus ist, weswegen ursprünglich der Chef mir am Telefon ja schon absagen wollte: Eine Gruppe junger Leute, die sogar noch vor mir beim Frühstück waren.

Wenn man dem Auto vor der Tür glauben schenken darf, wohl eine Exkursion der Uni Jena. 

Ich will mich jetzt nicht weiter mit Theorie beschäftigen, sondern lieber raus in die Praxis.

Der erste Anstieg beginnt noch im Ort, aber bald liegt Adorf hinter mir.


Kurz bevor ich den Waldrand oberhalb erreiche, wird der leichte Sprühnebel-Niederschlag aus den Wolken denn doch zu richtigem Regen, so daß ich mal wieder meinen Rucksackschirm auspacke.
Der Regen wird mich heute dann einen Großteil meines Weges verfolgen.

Als ich den Wald umrundet habe, höre ich plötzlich Stimmen. Kinderstimmen. Fast wie bei diesen Audioinstallationen bei der Stadtwüstung Blankenrode, nur verstehen kann ich nichts.
Stimmen im Wald ? Muß ich mir fürchten ? Leide ich schon unter Halluzinationen ?

Sehen kann ich nämlich erst nichts, aber dann erspähe ich RECHTS des Weges doch noch die Schallquellenursache: Auf einem Jägerstand turnen stark begeistert (Wetter spielt für Kinder - oder Wanderer - ja keine Rolle) zwei Kids herum.

Im Rückblick kann ich sie dann auch ganz erkennen:


Von Hügel zu Hügel sowie ab und an zwischen diesen hindurch geht es abwechslungsreich durch Wald bzw. durch die Wiesen.

Vorteil bei dieser Nässe erneut: Keine Singletrails und nur sehr selten zugewachsene Wege.


Oberhalb einer Ortschaft dann diese seltsame Konstruktion:


Teil eines Geocaches ?

Im Ort frage ich mich dann, was einem die (ferne) Zukunft am 26. September bringt, wenn man in der Gegenwart und womöglich bis dahin (und das sind ja noch 4 Wochen) umherirrt, weil die Wanderwegsmarkierung verdeckt wurde.


Naja, ein Stück ragt ja noch heraus und so will ich dem parteilosen und dafür vielfarbigen Kandidaten mal nicht ans Bein (Schild) pinkeln. Apropos vielfarbig: Mutmaßlich ist dieser unabhängige Kandidat der Meinung, daß Wähler sowieso keine Slogans lesen, keine Gesichter anschauen, sich keine Namen einfach so schnell merken, sondern reflexartig auf die Farbe "ihrer" Partei reagieren. Er hat deswegen ALLE Farben der üblichen und wählbaren Parteien nebeneinander als Banderolle aufdrucken lassen.

Wenn's hilft... ;-)


Gemeine Schilder sind ja im allgemeinen ungemein wichtig, wie ich finden könnte.

So hat mich das folgende dankenswerterweise gerade noch davor bewahrt, im ca. 30 cm tiefen Schlamm-Algen-Tümpel spontane Schwimmversuche zu unternehmen. - Das wäre nämlich (wie dämlich) naheliegenderweise das ERSTE gewesen, was mir eingefallen wäre...


Als ich Deisfeld dann erreiche, kann ich über die skurrile Installation ausrangierten Equipments gegenüber des örtlichen Feuerwehrhauses nur schmunzeln:


Nach einem Gespräch über Wetter, Politik (O-Ton eines der Einheimischen: "Ja, gab es denn bei den Parteien gar niemand wählbaren, der sich aufstellen lassen wollte"), Rucksackschirme sowie Gott und die Welt geht es am anderen Ende des Orts erneut bergauf.

Tja, wenn man sich den Ausspruch genauer ansieht und an aktuelle Diskussionen in der CDU denkt, so überlegt man dort jetzt wohl ernsthaft, den Deutschen mal zu erklären, daß in der Bundesrepublik KanzlerIn gar nicht vom Volk gewählt wird.

Ich fürchte allerdings die "konservative" Haltung setzt sich durch. Als nächstes kommt sonst noch ein Politikwissenschaftler zu Wort, der erklärt, daß es "keinen Auftrag zur Regierungsbildung für die stärkste Fraktion" gibt oder das Parlament am Ende doch einfach Söder wählen könnte, wenn es wollte, sog. "Spitzenkandidatur" hin oder her. Skandal !

Oh, war da nicht was bei den Konservativen in Brüssel nach der letzten Europawahl ?
Ja, ja: SKANDAL, dürften jene dann eigentlich schreien ;-)

Heute überschreite ich jedenfalls nicht die 5%-Hürde (nächster Skandal: CSU könnte 5%-Hürde nach aktuellen Prognosen reißen - das gleicht ja schon an Blasphemie - dazu, also zu letzterem am Ende noch mehr...).


Just während meiner Mittagspause in einer der Schutzhütten am Weg (Nieselregen !), erreicht mich SMS von Manuela (rennschnecke), wo ich denn gerade sei. Der Name der Hütte ist ihr nicht genau genug, Koordinaten sollen es schon sein.
Nachdem ich jene zweidimensional und um Höhe für die dritte Dimension geliefert habe, erhalte ich Rückmeldung über den Plan: Sie wird auf mich zu laufen und dann bis zum Ende der heutigen Etappe mit mir wandern. Wie entgegenkommend !

Nach einem kurzen Blick auf die "Restlaufzeit" in Kilometern für den aktuellen Tag, schätze ich auf ein Treffen in ca. 7 Kilometern. Na, denn mal los.

Nur gut, daß ich da nicht gewettet habe: Sie kommt mir nämlich bereits im nächsten Wald entgegen: Sie parkte nämlich direkt im nächsten Ort und um am Ende wieder zum Auto zurückzukommen, ist ihr Bruder als Taxi von Willingen aus vorgesehen.

Geschickt eingefädelte Logistik. Der Plan könnte von mir sein ;-)

Zuletzt haben wir uns im Herbst 2016 beim München-Venedig-Veteranen-Event beim Brucknfischer bei Schäftlarn südlich von München gesehen, nun also wieder mal ein Treffen und diesmal in ihrer Heimat im Sauerland.

Die Zeit und die restlichen Kilometern vergehen beim Quatschen über hohe und lange Berge wie im Flug, wobei ich zwischenzeitlich auch noch etliche Dinge lerne (bin ja nicht zum Spaß hier), wie die Geschichte der Schieferabraumhalde, an der wir vorbeigehen: 
 

Oder über Museum und Schaubergwerk:


Das Bild am Haus gegenüber läßt aber eher an andere Regionen (meiner zweiten Heimat) denken: 


Durch den eigentlich sehr trubeligen Touristenort Willingen (gut, daß es so trüb und ungemütlich ist ;-) lasse ich mich von der ortskundigen Führerin durch die Gemeinde und an den ganzen Liftanlagen vorbei bis hin zum Waldcafe führen, wo ich mich heute einquartiert habe und bereits die ersten Kilometer der langen Etappe am nächsten Tag absolviert haben dürfte (so der Plan). Manuela möchte dann bei einem Kaffee auf ihren Bruder warten.

Was wir nicht auf der Rechnung hatten: Das Cafe/Restaurant/Hotel hat an diesem Sonntag zu !
An der Tür hängt nur ein Zettel, wo man anrufen soll, damit jemand kommt, der einem den Zimmerschlüssel gibt.

Mmmh, hätte ich das im Vorhinein gewußt, hätte ich ja sogar in dem Supermarkt in Willingen, der auch sonntags offen hat, mir etwas zu Essen/Trinken besorgen können, nun sitze ich also 3 km vom Zentrum entfernt auf dem Trockenen/Hungernden. Einmal mit Profis arbeiten :-(

Aber Manuela macht mir nach Sondierung der Lage umgehend ein Angebot, was ich nicht ablehnen kann: Nachdem sie ihr Auto abgeholt hat, wird sie mich hier aufsammeln, zum Essen ausführen und dann wieder hier abwerfen.

Ha, es leben die Trail Angels !

Und wie Martin (aus Kärnten) letztes Jahr im Raum Hamburg schon so kritisch bis respektvoll kommentierte: Ja, dumm darf man sein, man muß sich nur zu helfen wissen, und warum sollte man nicht auf Local Guides zurückgreifen - die kennen sich schließlich am besten aus :-)

Oder meint wirklich noch jemand, ich würde diese Köder (wie München-Venedig) als Einstiegsdrogen nur so zum Spaß auslegen ? - Das folgt (natürlich) alles einem GROSSEN Plan ;-) - Auch wenn ich im Gegensatz zum Chef-Gecko NICHT die Weltherrschaft anstrebe (viel zu nervenaufreibend in der heutigen Zeit) !

Liebe Grüße und vielen Dank an dieser Stelle neben Manuela auch noch an die lokalen Begleitungen/Besuche vom letzten Jahr: Stefan, Hans und Mirjam.

Als mein Taxi dann zum Abholen auf die Minute pünktlich im Regen vorfährt, erläutert mir die Fahrerin die zwischenzeitlich durch Hinzuziehung eines weiteren Experten der örtlichen Gastronomie ausgearbeiteten Wahlvorschläge (besten Dank auch an den Bruder unbekannterweise).

Ich höre mir das so an und muß allerdings überhaupt nicht lange überlegen: Ab in die Kirche mit dem Engel !

So speisen wir bei "Don Camillo" in der Kirche:


Und EINES kann ich dem unsteten Dienstmann aus München (nennen wir ihn mal "Aloisius") sagen: Da gab es NICHT nur Mana !  


P.S.: Die Überschrift spiegelt übrigens meine Selbstbeschreibung wider, damit Manuela mich auch nicht verkenne, denn mit dem tieffliegenden Wanderschirm am Rucksack muß ich wirklich ein lustiges Bild abgeben.


Begegnungen:

- 2 Kinder im Jägerstand

- aufgescheuchtes junges Reh

- Greifvögel

- Reh, was auch auf Springreitparcour gute Figur gemacht hätte

- 2 Männer + 1 Kind

- Manuela (rennschnecke)


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