Mittwoch, 19. August 2020

Tag 26: The Fast & the Furious

Bad Nenndorf Bad Münder
(30,2 km - 810 Hm auf - 760 Hm ab)

Auf heute habe ich mich schon seit ein paar Tagen gefreut:
Besuch, den ich von früher aus Erlangen kenne, hat sich für das Etappenziel angekündigt.

Kombiniert mit sehr ungewissen Wetteraussichten, einer sehr langen Etappe (9 Stunden Gehzeit laut Führer + Zusatzkilometer für Quartier) und dem ersten richtigen Gebirgszug ergibt dies eine recht delikate Mischung: Man(n) will die Besucherin ja nicht warten lassen und eine Just-in-time-Ankunft wäre sicherlich auch keine gute Idee, da dann wohl statt 1,5-Meter-Corona-Abstand eher 5-Meter-olfaktorischer-Abstand angemessen wären.

Mangels Frühstück in der Unterkunft (siehe Unverständnis am Ende des letzten Blog-Eintrags), verspeise ich die Reste vom Vorabend auf dem Zimmer und präpariere noch mein Spezial-Treibstoff-Gemisch für den heutigen Tag.

Nachdem bisher Hügel mit maximal um die 160 Meter über Normalnull auf dem Programm standen, geht es heute gleich auf einen echten 4.000er (in "Dezzi" - würden die Schweizer wohl sagen) - wobei selbst die Nordflanke meines Wissens längst gletscherfrei ist ! 
Und nicht nur hinauf, sondern die Etappe umfaßt eine komplette West-Ost-Überschreitung des gesamten Gebirgszuges des Deisters, den man nicht fälschlicherweise zum Weserbergland zählen sollte.

Bei starker Bewölkung und knapp 20° ziehe ich durch den Bad Nenndorfer Kurpark mit seinen speziellen Süntel-Buchen (sehen schon mythisch aus: Beispiel siehe unten) los und schon geht es mit dem ersten Hügel als Vorgeplänkel für den heutigen Tag los. Durch spezielle Buchen- (bergauf) und später Ahornalleen (bergab) geht es malerisch durch den frühen Morgen bis die B65 ampelgestützt gequert wird und es richtig auf den Deister geht.

Die A2 wird untertunnelt und durch traumhafte Mischwälder geht es genau mit der richtigen Steigung bergauf.

Ab und an muß ich immer ein wenig kichern, wenn ich an das Lachgas-ähnliche zwei Liter Turbo-Gemisch in meinen beiden Haupttreibstofftanks denke (Lachgas-Einspritzung).
In der Tuner-Szene (siehe auch: The Fast and the Furious) wird oft verkürzt von Nitro gesprochen, wobei ich den Vorteil habe, daß mein Gemisch nicht nur kurzzeitige Leistungsschübe bringt.

Nur um eines klarzustellen: Außer etwas leistungsteigerndem (aber nicht auf der Anti-Doping-Liste zu findendem) Traubenzucker auf der langen 35-Kilometer-Etappe in Schleswig-Holstein, bin ich absoluter Nichtraucher (kann Gras also nichts abgewinnen) und blankes Wasser gibt es bei mir auch nur in der Wander-Jahreszeit.
Im Allgemeinen halte ich das Einführen von Gras und Wasser in das Veredelungsinstrument namens Kuh für viel wertschöpfender, wenn man sich im Anschluß von den vier M-Ausscheidungen (*muh* + Methan vorne, Mist hinten und Milch unten) auf letztere konzentriert.

Als ich nach 2:15 Stunden auf meine GPS blicke, habe ich bereits 10 Kilometer Distanz, 400 Aufstiegsmeter und einiges an Abstieg absolviert. Irgendwie habe ich heute scheinbar einen Lauf !

Zur Ursache habe ich auch noch eine Theorie: Ein nicht zu vergessender Österreicher hatte ja bereits ca. 90% oder 7.000 Kilometer der 10 österreichischen Weit-Wander-Wege begangen, als er auf die Idee kam, auch mal Johannisbeersaft mit frischen Quellwasser auf den Hütten zu probieren. Er ließ mir dann ausrichten, daß das wohl gar nicht so verkehrt sei.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er die Höhen-Korelation der links-drehenden Vitamine kennt (müßte ich fast mal den Zwilling mit der Molekular-Medizin befragen, fällt mir ein).
Lange Rede kurzer Sinn: Auch wenn aktuell Rhabaraber-Schorle wohl voll in ist, bleibt Maracuja quasi die Johannisbeere des (deutschen) Flach- und Hügellandes.

Tipp für die Praxis: Nach Säften der Typs M* fragen. Zur Not tun es in folgender (absteigender) Reihenfolge nämlich auch: Mango, Multivitamin.
Restaurationsbetriebe ohne derartigen Stoff, könnte man - Widerspruch in sich hin oder her - wohl am ehesten als "Saftladen" bezeichnen, ohne sich einer Beledigung/Verleumdung schuldig zu machen.

Dementsprechend habe ich heute zwei Liter Maracuja-Wassergemisch im optimierten Verhältnis 35:65 dabei.

Die 22° Tagestemperatur und die Anfeuerung durch Petrus, wenn es aus seiner Sicht mal etwas zu langsam geht, tun ihr übriges: Ab und an beginnt es nämlich zu nieseln oder sogar etwas stärker zu regnen, aber da es vorwärts eigentlich immer heller aussieht (wobei: ich habe nie zurück geschaut - keine Zeit), gebe ich immer lieber etwas Gas, als die Regenklamotten rauszuholen.

Der Deister-Höhenzug (Großer Deister) ist gespickt mit Türmen: Aussichtstürme, (Mobil-)Funktürme, Türme unklarer Funktion und einer riesigen Radaranlage der Deutschen Flug-Sicherung.
Neben den Radaranlagen an den (großen) Flughäfen gibt es bundesweit insgesamt sechs solcher SRE-M-Anlagen.
Einen der Mitarbeiter der zivilen Flugsicherung treffe ich und wir kommen ins Gespräch: Eigentlich (so beginnen 2020 Corona-bedingt ja viele - auch meine - Urlaubsgeschichten) wollte er mit der Ehefrau und einem befreundeten Paar nach Marokko. Und nun geht es im September auf den fränkischen Gebirgsweg (6 Tage Zelt + 8 Tage übernachten in Pensionen - bestimmt auch ein Abenteuer). Zu allem Überfluß läuft ihm dann hier und heute auch noch ein bärtiger, bestens gelaunter Franke über den Weg, der sich für das nette Gespräch auch mehr Zeit als für sämtliche Pausen des Tages zusammen nimmt, bevor er weiter gen Südosten marschiert.

An der nächsten großen Kreuzung überlege ich dann schon aus 100 Metern Entfernung, wie ich wohl am besten durch das Menschenknäuel durchkomme, die hier gerade Abstands-technisch die ganze Forststraße mit locker mal 20 Leuten blockieren. Mutmaßlich habe ich so nach Räuber und/oder Pirat ausgesehen, daß sich die Menge vor mir freiwillig geteilt hat, noch bevor ich meine Fanfaren-Hupe auspacken konnte ;-)

Und weiter geht es über den Höhenzug, bis ich schließlich den Brenner-Paß quere.
*ups* Brenner ? Da war doch mal was: Tag 032/2014
Von der Breite der Straße (und vom nicht vorhandenen Verkehr) erinnert der Nienstedter Paßt (280m) eher an eine regnerische Etappe im grünen Herz der Steiermark mit gleich zwei solchen Pässen an einem Tag: Tag 10/2017

Egal wie: Ich mag es (Auto-)Pässe zu queren. Hat irgendwie etwas erhabenes: Der (meist) motorisierte Verkehr hat sich hinaufgequält und man selbst kommt als Wanderer von der Seite von oben entspannt und zugegebenermaßen, auch im wahrsten Sinne des Wortes herabschauend vorbei :-)

Nach dem 4050 Dezimeter hohen Bröhn führt der Weg auf das Köllnischfeld (echt kein Schreibfehler !) zu und ab dann eher in südliche Richtung bis zur steilen Absturzkante nach dem Ebersberg.

Mann, geht es da jetzt heftig steil bergab. Ich bin bei den rutschigen Verhältnissen durch den Dauerregen des Vortags froh um meine Stöcke und daß ich nicht so steil bergauf mußte - das wäre kein solch Spaß gewesen.

Als Kind hatte mich mein Vater immer mal vor den Mitgliedern des teils hinterlistigen Bergvolks unserer südlichen Nachbarn gewarnt.
Wenn ich jetzt so an der Deisterpforte stehe, neben mir eine taufrische E1-Markierung, auf das GPS schaue und den wilden Gegenanstieg, der gerade vor mir liegt, so kann ich mir ein Schmunzeln über die beiden Wiener Autoren des Wanderführers nicht verkneifen: Hund san's scho ;-)

Violett deren Track. Türkis die Markierung und mein Weg. Schlappe 1,6 km und ca. 70 Aufstiegsmeter mehr.

Nichtsdestowenigertrotz erreiche ich trotz des "Bonus"-Programms nach 6:15 Stunden Gehzeit den (heute geschlossenen) Gasthof Ziegenbuche, das eigentliche Etappenziel.

Für mich geht es dann noch wie im Fluge (Petrus hat mir beim Innehalten mal wieder gedanklich mit Wasser-Anstößen auf die Sprünge geholfen) knapp 2 Kilometer weiter bis hinab nach Bad Münder.

Genug Zeit für Ganzkörperwaschanlage, Mittagsschläfchen und Punkt 18 Uhr gibt es erstens etwas zu essen und zweitens steht Mirjam (ClumsySheep) vor der Tür. Punktlandung.
Sie ist extra aus Hannover nach einem Termin hier herausgefahren, so sehen wir uns nach vielen Jahren mal wieder und Quatschen über Gott und die Welt bis es draußen finster sowie kalt wird und es höchste Zeit für ihre Rückfahrt und den Erholungsschlaf des Weitwanderers wird.

Vielen herzlichen Dank für den Besuch Mirjam und liebe Grüße auch an die Zwillings-Schwester !


Begegnungen:
- 1 Hase
- netter Herr der Deutschen Flug-Sicherung
- Mirjam (ClumsySheep)

1 Kommentar:

  1. Da die Deisterpforte geschlossen ist und - so wie's dort aussieht - wohl auch bleibt, ist dieser Umweg nicht sehr lohnend.

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